Nastasia Schärer sieht dem Einstieg in die Arbeitswelt mit gemischten Gefühlen entgegen. Die 16jährige Schweizerin lächelt. Sie freue sich darauf, zukünftig einen Beruf zu erlernen und die Schule zu verlassen, «aber es ist schon noch etwas ungewohnt.»
Nastasja ist eine von 14 Schülerinnen und Schülern, die das zehnte Schuljahr der Fachschule Viventa bei Giovanni Viecelli in Zürich besuchen. Bei ihm sollen sie vom korrekt beschrifteten Couvert bis hin zum Bewerbungsdossier den Einstieg ins Berufsleben anpacken. Viel mehr noch als die Formalitäten müssen die Jugendlichen aber frühere Versäumnisse aufholen – auch in persönlicher Hinsicht.
Helfen und Fordern
«Oft mangelt es an Disziplin», ist eine der Beobachtungen, die Viecelli während des Unterrichts macht. Mal muss er eine Schülerin bitten, ihre Kopfhörer aus den Ohren zu nehmen, ein anderes Mal spielt jemand während des Unterrichts am Computer, ein Dritter kommt schon wieder zu spät und die Vierte hat ihre Präsentation nicht vorbereitet. Viecelli versucht, den Jugendlichen behilflich zu sein, sie aber gleichzeitig auch zu fordern und zu kritischem Denken zu bewegen.
Trotz Einsatz nur Absagen
Mitnichten lassen sich aber die beruflichen Misserfolge nur auf mangelnden Gehorsam oder fehlende Gewissenhaftigkeit reduzieren. Viele, wie der 17jährige Aman Tesfom aus Eritrea zeigen viel Einsatz. Der Kriegsflüchtling sucht eine Stelle in der Schweiz, unter anderem als Elektroinstallateur. Bisher hat er 82 Bewerbungen verschickt, jedoch ausschliesslich Absagen erhalten.
Viele sind auf sich alleine gestellt
Wie Aman stammen viele Lehrstellensuchende aus einem anderen Kulturkreis. Neben Sprachschwierigkeiten haben sie oft keine Bezugspersonen, die ihnen beim Einstieg ins Berufsleben helfen könnten. Andere wiederum, darunter auch viele Schweizer, kommen aus zerrütteten Familienverhältnissen und sind ebenfalls auf sich allein gestellt, wenn es darum geht, welchen Beruf sie ausüben möchten und wie sie eine Weiterbildung finden.
Wünsche und tatsächliche Möglichkeiten
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Die Auseinandersetzung mit dem zukünftigen Beruf beschränkt sich nicht nur auf die eigenen Wünsche. Die Erwartungen in Lehre und Berufsschule sind gestiegen, die Konkurrenz ist vielerorts sehr hoch und es ist Ausdauer gefragt. Sich diesem Erwartungsdruck von aussen stellen zu müssen, fällt den Jugendlichen nicht leicht. «Wie soll eine Bewerbung auf einer einzigen Seite etwas über meine vielseitige Persönlichkeit aussagen?», fragt Nastasja resigniert. Und wie hat Aman trotz seiner Herkunft und seinem gebrochenen Deutsch eine Chance auf dem Arbeitsmarkt?
Intensive Beschäftigung mit sich selbst
So ist die schwierige und oft langwierige Suche nach dem Platz in der Berufswelt mit Enttäuschungen, aber auch Neuorientierungen verbunden. Nastasja, die einst vergeblich nach einer Lehrstelle im Detailhandel gesucht hat, entschied sich zu einer KV-Lehre. Und plötzlich findet sie sich mit umgebundener Schürze zwischen den Esstischen in einem Gasthof wieder. Doch auch diese Berufsperspektive wird sie wieder verwerfen.
Für den Lehrer Giovanni Viecelli sei das zehnte Schuljahr deshalb eine Phase, in der die Jugendlichen sich derart stark entwickeln würden, wie man es sonst selten in der Schule finden würde. Und das zeige sich besonders in ihrer intensiven Beschäftigung mit sich und ihrer Umwelt. In der Fachschule finden die Schülerinnen und Schüler ungeahnte Lösungen und Alternativen. Jeder von Viecellis Schülern hat – wenn auch nicht unbedingt eine Lehrstelle – in irgendeiner Form eine Anschlusslösung gefunden. Viecelli sagt nicht unbeeindruckt: «Da ist ein schöpferisches Potenzial drin, welches man als Lehrer wirklich spürt.»