Seit Oktober letzten Jahres haben fast 60'000 Kinder und Jugendliche versucht, alleine die mexikanisch-amerikanische Grenze zu überqueren. Spätestens seit Präsident Obama diesen nie zuvor dagewesenen Zustrom von Minderjährigen zur «humanitären Krise» erklärt hat, ringt man in den USA um Worte für eine angemessene Diskussion.
Kann ein Mensch illegal sein?
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US-Menschenrechtsorganisationen protestieren schon lange gegen den Begriff «illegal immigrants», «illegale Immigranten». Nur Handlungen könnten ungesetzlich sein, so das Argument, nicht aber Menschen.
Die New York Times ermuntert ihre Reporter mittlerweile dazu, sprachliche Alternativen zu verwenden. Die Presseagentur AP hat die Bezeichnung ganz aus ihrem Wörterbuch gestrichen. «Undocumented immigrants», «Immigranten ohne gültige Papiere», wird von der AP und den meisten übrigen Medien zurzeit bevorzugt benutzt. Wirklich glücklich ist niemand damit. Auch Aufrufe via Twitter haben bisher zu keinen besseren Vorschlägen geführt.
Immigranten oder Flüchtlinge?
Es wird auch darüber debattiert, ob es sich bei den unbegleiteten Kindern und Jugendlichen an der mexikanisch-amerikanischen Grenze überhaupt um «Immigranten» handelt. Viele von ihnen fliehen vor der Gewalt in ihren Herkunftsländern.
Hilfswerke sprechen deshalb von «refugees», von Flüchtlingen. Neuerdings tun es ihnen manche Politiker und Kommentatoren gleich. Das wirft allerdings die Frage nach dem Status dieser Kinder und Jugendlichen auf. Für Flüchtlinge gelten andere Gesetze als für Immigranten.
Die Begriffe haben unterschiedliche juristische Folgen
Flüchtlinge dürfen im Gegensatz zu Immigranten nicht einfach ins nächste Flugzeug gesetzt und wieder in ihre Heimat zurückgeschickt werden. Sie haben das Recht auf einen juristischen Vertreter, der für sie höchst offiziell Asyl beantragt. Solche Verfahren dauern oft Jahre. Diese Zeit verbringen die Menschen in den USA, wo sie manchmal Freundschaften schliessen, Wurzeln fassen oder schlicht untertauchen.
Das wollen manche vermeiden. Die Hardliner unter den Gesetzgebern und Meinungsmachern reden deshalb nach wie vor und ausschliesslich von «illegalen Immigranten». Bei den «illegal immigrants» ist die «Annahme verweigert – Zurück an Absender»-Methode erlaubt.
Der menschliche Aspekt wird ausgeblendet
Ob Illegale, Immigranten, Papierlose oder Flüchtlinge: Sie alle landen in «process centers» und werden dort «zwischengelagert». «To process» heisst abfertigten, abwickeln, verarbeiten. Dasselbe Vokabular wird im Englischen für Vieh auf der Schlachtbank verwendet.
Im Fall von Kühen und Schweinen ist «to process» ein Euphemismus. Bei Menschen dient diese Terminologie dazu, den menschlichen Aspekt auszublenden. Was abgefertigt, abgewickelt und verarbeitet werden kann, hat keinen Anspruch auf Mitgefühl. Damit ist es allerdings vorbei, wird die entsprechende Ausdrucksweise erst einmal in Zweifel gezogen. Das wäre demselben politischen Lager, das auf der Kategorisierung «illegal immigrants» beharrt, wohl eher unlieb.
Die Immigration erhält plötzlich ein Gesicht
Bisher war die Immigration für die meisten US-Amerikaner etwas Abstraktes. Von Statistiken kann man sich distanzieren, Zahlen lassen sich ignorieren. Die «Felipes» und «Carlas» und «Gabriels», deren Bilder und Schicksale zurzeit die amerikanischen Nachrichten beherrschen, haben diesen Zahlen und Statistiken plötzlich ein Gesicht, ja, viele junge Gesichter verliehen.
Der Eiertanz um die richtige Bezeichnung dieser Menschen löst keine Probleme. Aber weiterhin Schweigen ist keine Option.