Die Weltläufigkeit vieler Menschen kontrastiert eigenartig mit den Aussagen der 15 Gäste, die am 2. September in der Sendung «Hörpunkt» auf SRF 2 Kultur zu ihrer Sprachbiografie interviewt wurden. Jeder Gast musste sich im Interview einmal der Frage nach seiner bzw. ihrer Sprachheimat stellen.
Die Mehrheit mit Muttersprache Mundart
Zwar geben 15 handverlesene Interviewpartner kein verlässliches Bild ab. Aber immerhin waren in dieser Live-Sendung im Stadtcafé in Sursee Sprachwissenschaftler, Musiker und Spoken-Word-Künstler zu Gast. Menschen also, welche aus professionellem Interesse über das eigene Sprachgärtchen hinaus schauen müssen. Aber: Die grosse Mehrheit der Gäste bezeichnete die Mundart als ihre eigentliche Sprachheimat.
So auch der emeritierte Philosophieprofessor Ruedi Imbach aus Sursee, der in Paris Philosophiegeschichte lehrte und das Französische perfekt beherrscht. Aber Französisch, ebenso wie Hochdeutsch, sind «nur» seine Wissenschaftssprachen. Auch der Jungwissenschaftler Adrian Leemann, einer der Erfinder und Entwickler der beliebten Dialäkt-Äpp , nennt seinen Zofinger Dialekt als seine Sprachheimat. Obwohl im heutigen Wissenschaftsbetrieb das Englische so omnipräsent ist, dass er sich mit seinen Kollegen oft nur noch auf Englisch unterhält.
Was sagen die Biligualen?
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Für Linard Bardill, den Bündner «Liederer», wie er sich gerne nennt, ist Deutsch – die abgeschwächte Version des Prättigauer Dialekts seines Vaters – die Hauptsprache. Immerhin: Gewisse Lieder drängen sich ihm in der rätoromanischen Sprache seiner Mutter auf.
Der Balkan-Rapper Granit Dervishaj alias «Baba Uslender», der bis zum Kindergarten nur Albanisch sprach, ist mittlerweile im Luzerner Dialekt zuhause, aber seinen Kindern möchte er dereinst zuerst Albanisch beibringen. Und Pablo Vögtli rappt ausschliesslich auf Englisch, weil dies seine Muttersprache ist – die zweite, nebst Schweizerdeutsch.
Und die Polyglotte?
Am meisten in der grossen, weiten Welt zuhause ist Hannelore Weber, eine bescheidene, ältere Dame: Ursprünglich aus dem Saarland, lebte sie als Kind im Luzernischen, kurz auch im Waadtland, als Jugendliche zwei Jahre in Kalifornien, nach ihrer Heirat neun Jahre im Berner Oberland, später mit der Familie vier Jahre in Venezuela, dann lange in Thun, jetzt im Berner Seeland. Überall ist sie in der ortsüblichen Sprache heimisch geworden: im mütterlichen Hessischen, im Luzernischen, im Englischen, im Spanischen, im Berndeutschen. Dass sie keine gebürtige Bernerin ist, hört man ihr nicht an.
Ist Sprache Heimat oder nicht?
Passend zum Thema «Sprachheimat» ist eine wunderschöne Passage aus dem neuen Buch «Unger üs» des Berner Autors Guy Krneta: Vivienne, eine junge Sprachforscherin, beherrscht elf Sprachen und ist der Meinung, dass sie in jeder Sprache ein anderer Mensch ist und dass keine Sprache eine Heimat sein könne.
Dagegen steht die Erinnerung des Grossvaters an seine Aktivdienstzeit, als der Oberst angesichts der deutschen Truppen jenseits des Rheins sich entschloss, auf dem Waffenplatz Mundart mit seinen Soldaten zu sprechen, nicht Hochdeutsch. Deshalb ist die Mundart eine tief verwurzelte Heimat für ihn. Erstaunlicherweise hielten in der Sendung «HörPunkt» deutlich mehr Gäste zur Meinung des Grossvaters als zu der von Vivienne.
Die Erklärung dafür ist einfach: Zuhause fühlt man sich in einer Sprache normalerweise dann, wenn man länger unter Sprechern dieser Sprache gelebt hat und sich bei ihnen heimisch fühlte. Heimatgefühle sind eine Folge der Integration, könnte man postulieren.