SRF Kultur: Weshalb veröffentlichen Sie dieses Buch mit autobiographischen Texten gerade jetzt?
Klara Obermüller: Ich begann an diesen Texten zu schreiben, weil ich mehr Klarheit gewinnen wollte über mein Leben und über mich selbst. Es ging mir darum, Bilanz zu ziehen. An eine Veröffentlichung habe ich zunächst gar nicht gedacht.
Weshalb veröffentlichen Sie diese Texte nun doch, in denen Sie sehr viel Persönliches preisgeben?
Weil mich Freunde dazu ermuntert haben. Und weil ich andere ermuntern möchte, es mir gleich zu tun. Über das eigene Leben zu schreiben, befreit von seelischen Lasten, verleiht ein gutes Gefühl und macht einfach Spass.
Vor allem ältere Menschen haben oft viel zu erzählen und verspüren das Bedürfnis, mit sich ins Reine zu kommen. Schreiben kann helfen, auch wenn der Text am Ende in der Schublade bleibt.
Ist für Sie das Schreiben auch der Versuch, sich mit der Vergangenheit zu versöhnen?
Ein Stück weit sicher. Dies hat mit meinem fortgeschrittenen Alter etwas zu tun. Noch vor zehn Jahren hätte ich nicht im Traum an ein solches Buch gedacht.
Dann aber fing die Frage mich immer stärker an zu beschäftigen: Wie bin ich die geworden bin, die ich heute bin?
Im Buch schildern Sie etwa, wie prägend für Sie die Erfahrung war, ein Adoptivkind zu sein. Was hat dies konkret für Sie bedeutet?
Beiträge zum Thema
Meine Adoptiveltern haben mich über alles geliebt, und ich habe ihnen viel zu verdanken. Dennoch fühlte ich mich als Adoptivkind stets irgendwie orientierungslos. Ich wusste nicht, wer ich bin.
Ich konnte mich nie auf Vorfahren berufen, wenn es darum ging, bestimmte Züge meiner Persönlichkeit zu erklären. Für mich galt: Du bist das Resultat dessen, was du aus dir und deinem Leben gemacht hast.
Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, erfüllt mich dieser Gedanke auch mit einem gewissen Stolz. Aber das war nicht immer so. Es war für mich lange Zeit nicht einfach, mich immer wieder selbst erfinden zu müssen.
Sie erzählen in Ihrem Buch auch sehr offen von den drei Ehen in Ihrem Leben. Oder etwa auch, dass Sie die vermeintliche Fortschrittlichkeit des kommunistischen Ostens in den 1970er-Jahren etwas gar blauäugig beurteilt haben. Wie schwer ist Ihnen diese Ehrlichkeit gefallen?
Gar nicht. Sie ist die Grundvoraussetzung des Projekts gewesen. Alles andere hätte bedeutet, dass ich mir mein Leben hätte schön schreiben wollen.
Um dies zu vermeiden, muss man schonungslos mit sich sein. Vor Fehleinschätzungen ist man gleichwohl nie ganz gefeit: Die Erinnerung kann einem stets einen Streich spielen.
Was hat bei der Suche nach sich selbst am meisten wehgetan?
Zu realisieren, dass ich vielen Menschen nicht mehr sagen kann, was sie mir bedeutet haben, weil sie nicht mehr leben. Gerne hätte ich zum Beispiel meinen Adoptiveltern, die für mich ja meine richtigen Eltern sind, nochmals gedankt und ihnen gesagt, dass ich sie liebe. Auch hätte ich gerne noch den einen oder anderen Mitmenschen um Verzeihung gebeten, weil ich ihn verletzt habe.
Wie sehr belastet Sie dies?
Nicht mehr sehr. Ich habe gelernt, solche Unzulänglichkeiten als Teil des Lebens zu akzeptieren. Beim Schreiben habe ich gemerkt, dass ich trotz allen Irrungen und Wirrungen zu mir und meinem Leben Ja sagen darf. Ich bin mit mir einigermassen im Reinen, auch wenn ich im Nachhinein sicher gewisse Dinge anders machen würde.
Sie vermitteln den Eindruck eines gelungenen Lebens…
Ich glaube, das kommt daher, dass ich stets ungeheuer neugierig war. Der Reichtum meines Lebens und auch seine Widersprüchlichkeit verdanken sich der Tatsache, dass ich stets offen war für Neues.
Ich habe mich immer wieder auf Unbekanntes eingelassen – auch auf die Gefahr hin, dass das Vorhaben grandios scheitern könnte.