Der Weltklimarat IPCC hat in seinem fünften wissenschaftlichen Bericht harte Fakten aufgezeigt, nüchtern, wissenschaftlich untermauert und von den Regierungsvertretern in Stockholm Wort für Wort überprüft. Der Bericht, von insgesamt über 800 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verfasst, gibt den neuesten Stand der Erkenntnis in Sachen Klimaveränderung wider – es gibt keine bessere Quellenlage und keine bessere Entscheidungsgrundlage für Politik und Wissenschaft als diesen Bericht des IPCC.
Es ist schlimmer als angenommen
Sendungen zum Thema
- Klimaerwärmung: Wie schlimm ist es? (Arena, 4.10.2013)
- Klimawandel in monumentalen Reagenzgläsern (Einstein, 3.10.2013)
- Tony Abbott, Klimawandel-Skeptiker (Echo der Zeit, 1.10.2013)
- Entstehung des Klimaberichts (Wissenschaftsmagazin, 28.9.2013)
- Meeresspiegel droht weiter anzusteigen (Rendez-vous, 27.9.2013)
Die Erkenntnisse wurden in den Medien breit thematisiert, und sie sind nicht erfreulich. Das Klima hat sich eindeutig erwärmt, der Meeresspiegel steigt schneller als bisher angenommen, die Konzentration an CO2 in der Atmosphäre hat mit über 400 ppm ein Ausmass angenommen, das letztmals vor rund 800'000 Jahren auf der Welt vorkam, der arktische Eispanzer schmilzt rasant; und es ist klar, dass der Mensch für die Erwärmung fast alleine verantwortlich ist.
Keine guten Nachrichten auch, dass es laut dem Weltklimarat immer unwahrscheinlicher wird, die Erwärmung des Weltklimas noch unter den angepeilten 2 Grad plus halten zu können. 2 Grad, das ist die Grenze, jenseits derer es kritisch wird – bei mehr als 2 Grad Erwärmung drohen unkontrollierte, unvorhersehbare und möglicherweise katastrophale Kapriolen des Weltklimas.
Schlagzeilen, dann nichts mehr?
Die Schlagzeilen waren gross und fett, die Hintergrundsberichte dicht und detailliert; da und dort gab es auch skeptische Stimmen, vor allem, weil die Erwärmung des Planeten seit etwa 15 Jahren stagniert. Doch nach den Schlagzeilen: nicht mehr viel, und das ist nicht neu.
Andreas Fischlin, Klimawissenschaftler an der ETH Zürich, langjähriger Mitarbeiter beim IPCC und Experte bei den Beratungen zu einer Klimakonvention der UNO, beobachtet nicht nur die wissenschaftlichen Entwicklungen mit hoher Aufmerksamkeit. Ebenso kritisch setzt er sich mit der Frage auseinander, wie die Politik, wie die Öffentlichkeit mit den Erkenntnissen des IPCC umgeht. Andreas Fischlin ist in diesem Punkt irritiert.
Er ist mit seiner Irritation nicht alleine. Denn seit es das IPCC gibt, und nach jedem Bericht des IPCC, spielt sich dasselbe Spiel ab, mit schöner Regelmässigkeit: Auf die Publikation folgen Schlagzeilen, es gibt auch Stellungnahmen von Umweltorganisationen, es kommt zu Absichtserklärungen, sogar von Regierungen. Doch dann, nach einiger Zeit, versiegen die Stimmen derer, die zum Handeln aufgerufen wären, vor allem die Stimmen aus der Politik. Und die Weltöffentlichkeit muss zusehen, wie eine Klimakonferenz nach der anderen scheitert, während die Zeit immer knapper wird, unbesehen der Warnungen des IPCC.
Machtlose Wissenschaft
So eindeutige wissenschaftliche Grundlagen für eine mögliche Katastrophe hat die Wissenschaft noch kaum je geliefert, und noch nie war sie in einem Feld aktiv, in dem so viele unterschiedliche Parameter zusammenkommen: die natürlichen Schwankungen des Klimas, der steigende Gehalt an CO2 in der Atmosphäre, die Fähigkeit des Meeres, Wärme aufzunehmen, die Folgen der Abholzung des Regenwalds, der Einfluss der Wolken. Dazu kommen Faktoren, die alle in unser ganz alltägliches Dasein hineingreifen – unser Konsumverhalten, unsere Mobilitätswünsche, unsere Essgewohnheiten und so weiter, bis hin zur Frage, wie eigentlich die vorhandenen natürlichen Ressourcen gerecht verteilt werden können.
Raus aus der Komfortzone
Das alles ist viel, sehr viel – oder anders gesagt: Die Ansprüche der Wissenschaft an Politik und Gesellschaft sind riesig. Um so erdrückender ist ihre Machtlosigkeit. Wissenschaft kann einzig überzeugen, durch Argumente, durch Fakten, durch Tabellen, Zahlen. Wenn ihre Ergebnisse den wachstumsverpflichteten Politikern nicht gefallen, kann sie nichts, und sie kann auch nichts gegenüber einer Gesellschaft, die beschlossen hat, bis auf weiteres in der Komfortzone des billigen Konsums zu verharren. Und schon gar nichts kann sie tun, wenn nun – neuerdings – die Arktis für Erdgas- und Erdölbohrungen erschlossen wird, um mit billigen fossilen Energien den Fortbestand dieser Komfortzone zu sichern, auch wenn das vielleicht die Stabilität des Klimas kostet.
Andreas Fischlin und andere, die am IPCC mitgearbeitet haben und noch weiter mitarbeiten, sind die Kassandras unserer Zeit.