Seit 1985 hebt die Europäische Union Städte auf den Schild, zuerst als «Kulturstadt», seit 2000 als «Kulturhauptstadt Europas». Zwei Städte werden seit 2001 jeweils der europäischen Aufmerksamkeit empfohlen. Die Planung geschieht sehr langfristig: Bis 2033 stehen die Staaten fest, die dereinst die Kulturhauptstadt stellen werden. Wieso diese lange Vorlaufzeit?
Martin Heller, Intendant des Kulturhauptstadtjahrs von Linz, sagt gegenüber Radio SRF 2 Kultur, es sei «ein verständliches Bedürfnis der Länder innerhalb der EU, sich in den nationalen Bewerbungsprozessen darauf vorbereiten zu können». Für Städte wie zum Beispiel Mannheim und Nürnberg sei es wichtig zu wissen, ob sie 2025 an die Reihe kämen oder 2033.
Gute Vorbereitung als Nonplusultra
Martin Heller: «Der Vorbereitungsprozess ist fast der wichtigste Teil einer Kulturhauptstadt-Periode. Das Format ‹Kulturhauptstadt› ist nur grob festgelegt: ein Titel und eine bescheidene Zuwendung der Europäischen Union. Wie dieses Format gefüllt wird, mit welcher Ambition, kulturell, inhaltlich, künstlerisch, mit welchen Mitteln, mit welchen Begehren vielleicht auch hinsichtlich Infrastruktur, das liegt an den einzelnen Städten. Um so etwas in einem Jahr auf den Punkt zu bringen, da, wo's nach aussen dringt, dafür braucht es vier, fünf Jahre Vorbereitung.»
Nutzen für die Städte
Marseille und Kosice sind die 47. und 48. «Kulturhauptstadt Europas». Obwohl das Etikett also schon oft verliehen wurde, habe es sich nicht abgenutzt, sagt Heller. Es bringe nach wie vor viel Aufmerksamkeit, gerade im direkten Umfeld der jeweiligen Städte:
«Man nimmt die Stadt als besonders wahr. Es gibt eine besondere touristische Aufmerksamkeit. Es gibt aber auch die Möglichkeit - und das ist für mich entscheidender - innerhalb der Stadt Dinge zu tun, die man unter normalen Verhältnissen nicht tun könnte. 'Kulturhauptstadt' ist so etwas wie ein Ausnahmezustand. Da mahlen die politischen Mühlen schneller, man steht unter dem Druck, im Schaufenster zu sein. Da sind mit einem Mal viele Projekte und Vorhaben möglich, die es sonst nicht wären.»
Nicht bloss Marketing
Als Beispiele nennt Heller Infrastrukturvorhaben. In seinem Fall, beim Kulturhauptstadtjahr von Linz 2009, sei es zudem die deklarierte Absicht gewesen, die Stadt zu öffnen, indem die Stadt für viele Projekte Akteure und Künstler von aussen hereingeholt habe. Linz habe solche Zusammenarbeiten zuvor nicht gekannt.
Vergleich mit der Schweiz
Städte wie Kosice, die Kulturhauptstädte würden, hätten nicht das Niveau kultureller Infrastruktur wie eine durchschnittliche Schweizer Stadt. Sie seien ganz anders aufgestellt, sagt Martin Heller: «Da kann es wahnsinnig viel bedeuten, dass ein Museum oder ein Theater neu erstellt wurde und dann auch bestehen bleibt. Solche erste Schritte im Hinblick auf eine bessere kulturelle Ausstattung der Stadt, das sind in vielen Teilen Europas ganz wichtige Momente.»
Dazu komme die Veränderung in den Köpfen, die Gewohnheiten, die ins Wanken gerieten. Wenn sich die Möglichkeit ergebe, in einer Stadt anders zu arbeiten, wie er es in Linz festgestellt habe, und sich stärker dem Wettbewerb zu stellen, könne das auch unter Nachhaltigkeit verbucht werden. Diese Effekte seien möglicherweise nicht so genau abzufragen wie neue Gebäude oder verbauter Beton, «aber sie prägen und verändern eine Stadt nachhaltig».