Am 30. August 1989 meldet der «Blick» den Tod der «berühmteste Dirne der Schweiz». Lady Shiva alias Irene Staub sei auf einer thailändischen Ferieninsel mit ihrem Motorrad in einen Jeep gekracht.
Die Umstände ihres Todes sind bis heute nicht ganz klar. Unfall, Mord, Selbstmord, alles ist möglich. Tatsache ist: Am 30. August 1989 stirbt im fernen Thailand die Frau, die wie keine andere Symbol für Zürich in seiner wohl spannendsten Zeit war. Die Zeit zwischen 68 und Aids, die Zeit, als Zürich sich auf den Weg macht von der Polizeistunde zur Streetparade.
Eine einzige Provokation im puritanischen Zürich
Irene Staub stammt aus schwierigen Verhältnissen. Häusliche Gewalt, Trennung der Eltern, Kinderheim. Das ganze Programm. Mit 19 ist sie in Zürich und trifft Charlie, den hübschen jungen Mann, der aussieht wie Jimmy Hendrix. In ihn verliebt sie sich. Er zeigt ihr dafür, wie man anschafft.
Doch sie schmeisst ihn raus, den hübschen Charlie, macht sich selbstständig und nennt sich fortan Lady Shiva. Sie stellt sich an die Schoffelgasse mit offenem Mantel und Mieder drunter und ist eine einzige Provokation im puritanischen Zürich. Und sie will auch gar nichts anderes sein. Eine Hure, die dazu steht, eine Hure zu sein. Doch bald schon merkt sie, dass es auch anders geht. Männer bezahlen sie auch fürs Reden. «Ich verkaufe nur meine Zeit», heisst denn auch ein Dokumentarfilm über die Zürcher Marilyn Monroe, der damals gedreht wird.
Zwischen Kunst und Milieu
Es ist die Zeit nach 68. Die Bewegung zerfällt in viele Szenen und Unterszenen. Politische und nicht politische. K-Gruppen, Frauenbewegung, Ökobewegung, Schwule, Lesben, Hausbesetzer. Daneben Künstler, Musiker, Filmer, Literaten. Und alle sind miteinander verbandelt.
Das zeigt das Beispiel Venedigstrasse. Dort werden Häuser besetzt, die abgerissen werden sollen. Mit dabei sind Frauen, die kurz darauf das Avantgardelabel «Thema Selection» gründen. Lady Shiva wird als Model engagiert. Man schmückt sich mit einer echten Prostituierten. Die Modeschauen werden zu Happenings. Wunderschöne Frauen werden an Stangen gefesselt durch den Saal getragen. Politischere Frauen verlassen weinend den Saal. So haben sie sich die Emanzipation nicht vorgestellt.
Dafür werden Künstler auf Lady Shiva aufmerksam. Sie reizt auch die Nähe zwischen Kunst und Milieu. So was gibt es nur in Zürich. Im Niederdorf. Sigmar Polke kommt aus Düsseldorf. Lady Shiva wird seine Muse. Andere folgen. Bis hin zu Andy Warhol und David Bowie.
Der Absturz
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Doch irgendwann ist die Zeit vorbei. Die Szene löst sich allmählich auf. Eine andere Szene entsteht am Platzspitz. Und Aids hält Einzug.
Und auch Lady Shivas Zeit läuft ab. Irene Staub kann nicht mehr. Die Lady-Shiva-Rolle wird ihr zu viel. Sie stürzt ab, nimmt Drogen, geht auf Entzug, stürzt wieder ab, ist wieder auf Drogen, verarmt. Am Schluss der Versuch, in Thailand das private Glück zu finden, der Unfall (oder Mord oder Selbstmord) und der Tod.
Und Jahre später die Wiedergeburt. Letztes Jahr präsentiert das Landesmuseum eine Ausstellung zur Postmoderne. Und es wirbt mit einem riesigen Plakat an seinem Turm. Auf dem Plakat ein Bild von Lady Shiva. Lady Shiva, das Symbol einer Stadt und einer ganzen Epoche.