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Zwei Hände auf einer roten Decke. Es sind die Hände einer Toten.
Legende: Wie fängt man den Tod dokumentarisch ein, ohne respektlos zu sein? Szene aus dem Film «Vollenden». Filmkollektiv Zürich

Gesellschaft & Religion Leichen dürfen ein bisschen tot aussehen

Der Dokumentarfilm «Vollenden – Bestatten und mehr» zeigt echte tote Menschen – und bricht damit ein Tabu. Respektvoll bleibt er trotzdem. Die Filmautorin Susanne Eigenheer Wyler über Dreharbeiten, die an ihre Grenzen gingen.

Sie waren beim Drehen immer wieder mit toten Körpern konfrontiert. Wie ging es Ihnen dabei?

Susanne Eigenheer Wyler: Am Anfang hatte ich Mühe. Es gab Verstorbene, die seltsam wächsern und gegenständlich wirkten, aber auch solche, die mich rührten und mit denen ich mich identifizierte. Ich fokussierte also auf das, was die Bestatter taten, fotografierte und filmte. Vieles davon sieht man im Film nicht: das Tamponieren sämtlicher Körperöffnungen zum Beispiel. Einmal sah ich, wie sie einer zierlichen alten Frau die Strumpfhosen nur halb anzogen. Das war mir unerträglich, und ich habe interveniert.

Eine Frau mit einer Brille.
Legende: Sie ist die Filmautorin von «Vollenden – Bestatten und mehr»: Susanne Eigenheer Wyler. ZVG

Hat die Kamera geholfen, die Gefühle im Zaun zu halten?

Natürlich ist die Kamera immer ein Mittel, Abstand zu halten und trotzdem genau hinzuschauen. Mit dem Kamerateam achteten wir immer darauf, den Leichnam nicht zu berühren.

Wie riecht es, wenn eine Leiche «versorgt», das heisst für einen Abschied am Sarg hergerichtet wird?

Es ist ein spezieller Geruch, den man nicht vergisst. Er hängt ganz vom Zustand der Leiche ab. Eine stark verweste Leiche stinkt. Im Versorgungsraum benützt man Sprays, um den Gestank zu binden. Häufig riecht es auch nach Desinfektionsmitteln – ziemlich gewöhnungsbedürftig. Ich habe viel gedreht, auch das Gewimmel von Maden, Leichen in üblen Zuständen. Aber ich habe gemerkt: Solche Bilder braucht es nicht im Film.

Was war das Schlimmste: der Geruch oder das, was zu sehen war?

Für mich sind invasive Eingriffe am Körper schwer zu ertragen. Ich stelle mir vor, selber tot und wehrlos dazuliegen, und jemand arbeitet an mir, sticht hinein. Das waren die schwierigsten Momente.

Tote in einem Dokumentarfilm für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen ist ein Tabubruch. Es braucht das Einverständnis von Angehörigen. Wie sind Sie vorgegangen?

Mir war von Beginn weg klar, wie viel Überwindung es mich kostet, jemanden, der trauert, direkt zu fragen. Um mich vorzubereiten, arbeitete ich für zwei Wochen in einem Sterbehospiz als Pflegehelferin mit. Dort bat ich einige Bewohner und Angehörige, sie mit der Kamera interviewen zu dürfen. Es sagten fast alle zu. Das war für mich ein grosser Schritt. Im Bestattungsinstitut haben mir dann die beiden Protagonisten, die Bestatter Christine Pernlochner und Markus Ploner, geholfen. So lief der erste Kontakt über sie, und ich konnte bei ihrem Aufnahmegespräch mit den Angehörigen dabei sein und mein Filmprojekt vorstellen.

Vollenden – Bestatten und mehr

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Legende: Filmkollektiv

Im Zentrum des Dokumentarfilms steht das, von uns übrig bleibt. Mit viel Behutsamkeit waschen und restaurieren die Bestatter Christine und Markus Leichen für den letzten Abschied. «Vollenden» ist ein einfühlsames Porträt eines Handwerk, das uns mit unseren Grenzen konfrontiert. Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) hat diesen Film koproduziert .

Die beiden Bestatter von «Vollenden» wirken sehr reflektiert. Sie haben auch einen guten Humor, der ihnen über Manches hinweghilft.

Der Humor der beiden wirkt ansteckend. Sie reden offen über die Tabus rund um Tod und tote Körper und nennen die Dinge beim Namen. Dies hat etwas enorm Erleichterndes für alle, die mit dem Thema in Berührung kommen. Sie sagen aber auch: Wenn der Humor ins Zynische oder ins Schwarze kippt, ist das meist das Zeichen dafür, dass es dem Betreffenden nicht so gut geht.

Was bedeutet es, würdevoll mit toten Körpern umzugehen?

Ich bevorzuge das Wort Respekt und vergleiche es mit dem Respekt gegenüber Lebenden. Einen Patienten sorgsam zu waschen, ist respektvoll. Das gilt auch für Verstorbene, die vom Sterben oft stark gezeichnet sind. Nach der «Versorgung» strahlen sie eine Art «lebendige» Würde aus – so habe ich das empfunden. Mein Film soll zeigen, was es braucht, um diesen Respekt und diese Würde herzustellen.

Die Versorgung eines Leichnams ist ja ein kosmetischer Akt. Geht es darum, das hässliche Antlitz des Todes zu verbergen?

In erster Linie ist die Versorgung eine «Leichentoilette». Es geht darum, dass der Anblick und der Geruch für die Angehörigen erträglich sind. Das Bestatterteam in «Vollenden» lehnt – anders als in den USA – den exzessiven Gebrauch von Schminke ab. Christine sagt an einer Stelle im Film: «Ein bisschen tot dürfen die Leute schon ausschauen.» Verletzungen sollen nicht einfach übermalt und versteckt werden. Man soll sehen, dass jemand tot ist.

Was haben Sie gelernt aus dieser Erfahrung?

Ich könnte nicht als Bestatterin arbeiten. Diesen sachlichen Blick kriege ich nicht hin. Ich strebte ihn auch nicht an, denn mein Film soll ja gerade nicht nur sachlich sein. Trotzdem hat mir diese intensive Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit die Angst genommen. Ich habe gelernt, dass ein toter Körper wirklich tot ist. Wo immer ich dann sein werde, in diesem toten Körper werde ich nicht mehr sein.

Soll Ihr Leichnam geschminkt werden?

Heute schminke ich mich nur noch selten. Mich braucht also dereinst niemand zu schminken.

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