Wenn Lynsey Addario – klein, zierlich, lange braune Haare – den Raum betritt, bleibt man sofort an ihren Augen hängen. Die sympathische Amerikanerin italienischer Herkunft hat einen eindringlichen Blick, der mitten in die Welt der Kämpfe und Schrecken hinein zu weisen scheint, der sie sich aussetzt.
Ob sie aus Gaddafis Libyen oder aus dem Afghanistan der Taliban berichtet: Seit fast 20 Jahren ist die heute 42-Jährige von der Aufgabe besessen, mit ihren Fotos Geschichten zu erzählen, die zum Handeln aufrufen.
Vertrauen zuerst, Fotografieren später
Als junge Frau hat Addario Politik studiert. Fasziniert vom Fotografieren, seit ihr Vater ihr mit 13 eine erste Kamera geschenkt hatte, dachte sie aber nicht daran, aus der Leidenschaft einen Beruf zu machen. Fotografen waren in ihren Augen «oberflächliche Kinder aus wohlhabenden Familien, die keinen Ehrgeiz hatten.»
Dann verschlug es sie nach Argentinien, wo sie wochenlang den Ausdruck der trauernden Mütter auf der Plaza de Mayo in Buenos Aires studierte. Während ihrer Arbeit an einer Reportage über transsexuelle Prostituierte lernte sie, wie viel Zeit es braucht, Vertrauen aufzubauen, um erst dann die Kamera zu zücken.
Die Heimat der Flüchtlinge
Von 2012 bis 2014 war sie in und um Syrien unterwegs. Sie begleitete Flüchtlingsschiffe übers Mittelmeer: «Die Flüchtlinge werden weiter kommen. 16 Millionen Menschen sollen es aktuell sein.» Sie selbst dokumentiert das Thema nicht in Europa: «Für mich ist es wichtig, die Wurzeln der Probleme im Irak und in den Ländern drumherum zu zeigen.»
Für Addario ist es weniger ein politisches als vielmehr ein humanitäres Thema. «Dass tote Kinder an unsere Strände gespült werden, ist ein Verbrechen.» In der Welt von 2016 gebe es die Möglichkeit schlichtweg nicht mehr, die Türen vor Flüchtlingen zu verschliessen. Und Terrorismus entstehe eher, wenn man die Grenzen dicht mache, nicht umgekehrt. Die Täter von Paris seien in Europa aufgewachsen.
Erfolg und Trauma
Für den Beruf als Kriegsjournalistin wird man nicht geboren – man wächst hinein: Lynsey Addario beschreibt, wie sie mit Mitte 20 von ihrem Vater jenes Geld, das er jeder seiner vier Töchter zur Hochzeit schenkte, für eine ordentliche Kameraausrüstung erbat.
Mit ihren 42 Jahren ist sie nun ganz oben in ihrer Branche. Die weltweit besten Magazine, darunter die New York Times, wollen ihre Bilder. Sie wurde vielfach prämiert. Aber ihr Weg ist hart: «So viel an meiner Arbeit ist nicht toll, sondern einfach einsam, sehr traurig, und körperlich und seelisch traumatisierend.»
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Dem Auftrag treu bleiben
Sie sei immer ein entschlossener Mensch gewesen, «tough», hartnäckig und zäh. Und so bedeutet der Erfolg für Addario vor allem die Verpflichtung, auf diesem Weg weiterzugehen.
Davon kann sie nicht einmal der fünfjährige Sohn abhalten, der wie ihr Mann in London auf sie wartet. Sie habe sich nun mal entschlossen, «im Frieden zu leben, und Zeugin des Kriegs zu sein».
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktuell, 17.02.2015, 17:45 Uhr