Endlich singt einmal ein kluger Philosoph das Lob der Grenze: Konrad Paul Liessmann schreibt in seinem neuen Buch «Das Lob der Grenze. Kritik der politischen Urteilskraft» dem «Anything Goes» entgegen. Er analysiert die Ent-Grenzungen in Wirtschaft, Politik und Humanmedizin. Er denkt nach über Themen wie Transhumanismus, über die Grenzverwischung zwischen Mensch und Tier, zwischen Mensch und Computer.
Ferner interessiert ihn die Tendenz, dass der Menschen sich selbst immer stärker kommerzialisiert, was in Begriffen wie Ich-AG kumuliert oder darin, dass immer weniger von der «Würde» als vom «Wert» des Menschen gesprochen wird. Dem allem entgegen formuliert Liessmann also sein «Lob der Grenze», im Untertitel «Kritik der Politischen Unterscheidungskraft».
Ohne Grenzen, kein Leben, kein Überleben
Liessmanns 200-Seiten-Essay fängt ganz vorne an, nämlich «im Anfang», der Schöpfung. Die biblische Schöpfung ist geprägt von Grenzen, sie betont die Unterscheidung von Tag und Nacht, Wasser und Land: Grenzziehungen, die Leben definieren, die Leben erst ermöglichen. Überlebenswichtige Grenzen. «Es sind die Schwachen, die Minderheiten, die Mindermächtigen, die Grenzen brauchen; nicht die Starken», schreibt er. Dies sowohl in Bezug auf territoriale wie auch persönliche, moralische Grenzen.
Grenzen, die nicht immer respektiert werden. «Grenzen niederzureissen, Grenzen zu überschreiten (...) kann nicht nur heissen, Weltoffenheit zu demonstrieren, sondern kann ganz einfach ein aggressiver Akt sein, bei dem die Integrität eines Menschen, einer Menschengruppe oder eines Landes missachtet wird», so Liessmann.
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Flott skizzierte Staatsideen
Im Hauptteil des Buchs beschäftigt sich Liessmann mit dem Staat, mit Staatsgrenzen und den Grenzen des staatlich Machbaren. Aber was verstehen wir überhaupt unter Staat? Auch das weiss Liessmann in aller Kürze zu erklären. Flott skizziert er die Staatsideen von Marx, Adam Smith, Thomas Hobbes und anderen, so dass sie auch für die verständlich werden, die jene grossen Standartwerke der Philosophie nicht gelesen haben.
Dabei entlarvt Philosoph Liessmann die jeweiligen Staats-Definitionen ausnahmslos als interessegeleitet: Die einen wollen viel Staat und viel Kontrolle, die anderen sind auf dem besten Weg dazu, den Staat ganz abzuschaffen und damit auch den Schutz der Schwächeren.
«Es gehört zu den paradoxen Erfahrungen unserer Zeit, dass der in einem macht- und ordnungspolitischen Sinne vielleicht zu schwach gewordene Staat dem Bürger als starker, penetrant in Freiheitsrechte eingreifender Staat gegenübertreten kann», schreibt Liessmann.
Traditionsbewusster Humanist
Liessmann selbst ist als traditionsbewusster Humanist einzuordnen. Seine Unterscheidungen zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft sind erhellend. Mit dem «Lob der Grenze» warnt er nachdrücklich: «Nicht jeder, der ‹Freiheit› ruft, tut das aus Menschenliebe, – pass' auf! – passt auf!»