Frau Gudenus, im Februar dieses Jahres sind Sie nach Indien zurückgekehrt, um Ihren Film erstmals den Leihmüttern zu zeigen und in Erfahrung zu bringen, wie es ihnen heute geht. Was geschah inzwischen?
Valerie Gudenus: Mehrere Frauen haben bereits ein zweites Mal ein fremdes Kind ausgetragen. Denn ihr Traum von Reichtum, Luxus und Komfort kann mit den 5000 bis 7000 Euro, die sie verdienen, nicht erfüllt werden.
In den schönsten Farben wird den Frauen ein Bild ihrer Zukunft gemalt, das sich erst im Nachhinein als illusionär herausstellt.
Zudem klopfen nach der Leihmutterschaft die Nachbarn an, weil sie denken, die Frauen seien nun reich geworden. So werden Feste gefeiert, Geld verteilt und die Einkünfte schwinden dahin.
Es gibt aber auch andere Beispiele: Die Hauptperson im Film – Papiha – hat nach der ersten Leihmutterschaft eine Rikscha gekauft und sorgt damit weiterhin für Geldeinkünfte. Nach der zweiten konnte sie sich sogar eine Hütte in einem Slum leisten.
Hat sich also für die meisten Frauen gar nicht viel verändert seit den Leihmutterschaften?
Das würde ich nicht sagen: Es war sehr schön zu sehen, dass die Frauen durch das selbst verdiente Geld ein gestärktes Selbstbewusstsein und so auch eine verbesserte soziale Stellung erhielten.
Leider ist es aber so, dass sie trotz des Verdienstes in einer Gesellschaftsschicht leben, die keinerlei Absicherung kennt: Es gibt kein Sozial- oder Gesundheitssystem, das beispielsweise kranke Leute auffangen könnte.
So ist auch der Ehemann von Papiha, kurz nachdem wir sie im Februar besucht haben, zuhause an Tuberkulose gestorben.
Ein anderes Beispiel ist Paruls Tochter, die inzwischen an einer halbseitigen Lähmung erkrankt ist. Für die Behandlung der Krankheit ging der gesamte Verdienst der Leihmutterschaft drauf.
Wie haben die Frauen auf den Film reagiert?
Die meisten fanden es sehr lustig, sich selbst zu sehen. Man muss sich vorstellen, dass diese Frauen in ihrem Leben meistens keine grosse Aufmerksamkeit bekommen.
Die Tatsache, dass ein solcher Film gemacht wurde und sehr positive Reaktionen erhielt, war für sie wirklich berührend. Durch diesen Film standen sie plötzlich im Mittelpunkt. Sie erhielten eine Position in der Gesellschaft, die sie bisher nicht kannten.
Sie sahen sich also nicht als Opfer oder fühlten sich ausgebeutet?
Für uns sind solche Bilder schrecklich. Aber man muss das Gezeigte auch in Relation zu dem sehen, was diese Frauen normalerweise erleben: Diese zehn Monate Leihmutterschaft sind für die Frauen vor allem zu Beginn so als hätten sie im Lotto gewonnen – speziell in Bezug auf Unterkunft und sanitäre Anlagen.
Es gibt keine anderen Möglichkeiten auf legalem Weg so schnell so viel Geld zu verdienen. Die illegale Organspende ist die einzige Alternative.
Gewöhnliche Jobs sind physisch sehr anstrengende Arbeiten. Natürlich ist das die Leihmutterschaft auch, aber einige Frauen verrieten mir, dass sie froh waren, von Zuhause wegzukommen, weil ihr Mann Alkoholiker ist und sie ständig verprügelt. So konnten sie fliehen.
Welche Perspektiven haben diese Frauen?
Ausser Papiha hat keine der Frauen davon geredet, eine dritte Leihmutterschaft zu machen. So oder so wird das nun schwieriger, denn im November letzten Jahres gab es eine Gesetzesänderung, die das Austragen von Kindern internationaler Paare verbietet.
Das verschlechtert leider die Situation der Frauen enorm, da nun eine Verschiebung auf den Schwarzmarkt stattfindet. Zudem bezahlen indische Paare viel schlechter als internationale.
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Gleichzeitig wurde aus der Klinik in der wir gefilmt haben, ein riesiges neues Spital. Es sieht aus wie ein 5 Sterne Hotel. Die Leihmütter leben im Keller – rund 120 Frauen. Darüber befinden sich die Operationssäle und Befruchtungslabors, und noch weiter oben die Suiten für die Paare.
Ein Abbild der herrschenden Sozialhierarchie. Einige indische Leihmutterschaftskliniken wandern deshalb auch nach Kambodscha aus, weil dort die Gesetzeslage anders ist.
Ob das für die indischen Leihmütter besser ist, das wage ich allerdings schwer zu bezweifeln.