Für Ann-Marlene Henning ist klar: Probleme im Bett entstehen, weil wir immer noch zu wenig wissen über unsere Körper und unsere Bedürfnisse. Obwohl wir das doch schon in den 1960er-Jahren geklärt hatten. Damals, als Oswald Kolle uns mit seinen Filmchen aufklärte.
Das ist mehr als 50 Jahre her. Wieso braucht es also immer noch Aufklärung? «Man meint, das gibt es schon lange. Aber eigentlich sind es erst zwei Generationen. Da gibt es immer noch ganz viele Zwänge und Geschichten», stellt Henning klar. Es besteht also Bedarf. Und: Es geht weniger um Romantik. Sondern um Anatomie und Körperfunktionen.
Retterin in Sachen Sex
Mit ihren Büchern, Videoblogs und TV-Sendungen tritt sie den Beweis an: Über Penisse, Schamlippen und weibliche Prostata kann man unverblümt sprechen. In ihren TV-Sendungen sieht man, dass das ihre Klienten schätzen.
Stichwort Pornografie: Mehr als 80 Prozent der Jugendlichen sammeln erste sexuelle Erfahrungen im Cyperspace. Eine andere Studie kommt zum Schluss, dass ein Drittel aller Männer und Frauen sich ein Sexleben wie im Porno wünscht. Beeinflussen also Pornos unsere Ansprüche an unser eigenes Sexleben?
Intimer Sex bleibt auf der Strecke
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Wir setzen uns ständig unter Druck. Auch beim Sex. Und es muss immer besonders sein. «Wir machen kein S/M – sind wir noch normal?», fragen sich Hennings Patienten verunsichert. Der eigene, intime Sex bleibt dabei auf der Strecke und der innere Rückzug beginnt. Die Folge: Schweigen. Über Sex zu reden, fällt immer noch schwer. Genau da setzt die Therapeutin an. Ihre Botschaft ist simpel: Redet. Redet. Redet.
In den Gesprächen wird dann meist deutlich, dass es den anderen oft ähnlich geht. Wenn man spürt, dass man nicht allein ist mit seiner Unsicherheit, seinem Unvermögen, ist das bereits ein grosser Schritt.
Hennings Rezept scheint Erfolg zu haben: Ihr erstes Aufklärungsbuch «Make Love», erschien 2012, verkaufte sich rund 150'000-fach. Jetzt legt die Autorin nach und hat dabei die älteren Semester im Fokus. «Make more Love» ist ein gut gemachtes Aufklärungsbuch für Menschen über 45.
Auch mit 50, 60, 70 noch Sex
Das Thema boomt offenbar. Denn in einer Gesellschaft, in der immer mehr Menschen immer älter werden, muss auch der Sex nicht auf der Strecke bleiben. Andreas Dresen thematisierte das schon 2008 in seinem hochgelobten Film «Wolke 9».
Sex erhöht die Zufriedenheit und damit die Lebenserwartung. Doch auch im Alter gibt es viele Unsicherheiten. Kann ich überhaupt noch Sex haben? «Erregung ist Durchblutung», meint Henning lakonisch. Denn im Alter kommt die Erregung nicht mehr von allein. Das Lusthormon Testosteron wird weniger und man muss mehr für seine Sexualität tun.
Die gute Nachricht ist: Alles wird entspannter. Nur eines bleibt gleich für Jung und Alt: Wissen hilft und Reden auch.