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Frau steht mit Rollkoffer auf Zugsteig
Legende: Die heute 58-jährige Marta ist an einen geheimen Ort umgezogen – in ständiger Angst um ihr Leben. Thimfilm

Gesellschaft & Religion «Martas Koffer»: Eine Frau packt aus über die Gewalt ihres Mannes

Marta wird von ihrem Mann angefahren. Dann verletzt er sie mit Messerstichen. Nach zehn Jahren Haft ist er wieder auf freiem Fuss – und bedroht weiterhin ihr Leben. Zum internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen öffnet der Dok-Film «Martas Koffer» die Augen für ein Tabu-Thema.

Der österreichische Regisseur Günter Schwaiger wusste, dass er mit dem Thema häusliche Gewalt ein kontroverses Thema anpacken würde. Doch dieser spanische Fall, in dem das Opfer doppelt bestraft wird, übertraf seine schlimmsten Erwartungen. Denn Marta Anguita brauchte Jahre, um den Anschlag ihres Ex-Mannes auf ihr Leben zu überwinden. Und sah sich in der Zeit danach völlig ihrem Schicksal überlassen.

Zuerst strafte sie die bürgerliche Anständigkeit. Ihre wohlhabenden Eltern lasteten den Skandal der Tochter an, und wandten sich von ihr ab. Dann versagten die Behörden. «Er wird es wieder versuchen», sagte Marta. «Er hat es angekündigt.» Doch die Polizei fühlt sich für Martas Schutz nicht zuständig.

Nicht Täter, sondern Opfer ist schuldig

So begann ein Leidensweg, der typisch ist für Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt: Die Mitwelt spricht nicht den Täter, sondern das Opfer schuldig. Als ihr Ex-Mann nach Verbüssung der Haftstrasse wieder auf freien Fuss kam, blieb der heute 58-jährigen Marta nichts anderes übrig, als an einen geheimen Ort umzuziehen. Dort, im Untergrund, lebt sie noch heute. In ständiger Angst um ihr Leben.

Tag gegen Gewalt an Frauen

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Der 25.11. ist der Internationale Tag zur Be­sei­ti­gung von Gewalt gegen Frauen . Die Ver­einten Nationen riefen 1960 den Jahres­tag aus, nach der Er­mor­dung von drei Frauen in der Domi­ni­ka­nischen Repub­lik, um ins­be­son­dere staat­liche Akteure an ihre Ver­ant­wor­tung für den Schutz von Mädchen und Frauen zu erinnern.

In Spanien werden jährlich 60 bis 70 Frauen von ihren Partnern oder Ex-Partnern ermordet. Beinahe hätte auch Marta dazugehört. «Warum gibt es Leibwächter für Politiker, nicht aber für mich? Warum kann der Täter frei herumlaufen, während das Opfer sich verstecken muss?» So fragt Marta, und ihre Sätze haben im Kino, in Radiosendungen und Zeitungsinterviews Millionen von Spaniern erreicht.

Die Macht der Tabus

Zum Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen läuft Günter Schwaigers klug und einfühlsam erzählter Film «Martas Koffer» zugleich in Madrid, Rom, Buenos Aires, Belfast, Montevideo, St. Petersburg und anderen grossen Städten. Vielleicht gelingt es ihm damit, ein neues Nachdenken über die Folgen geschlechtsspezifischer Gewalt anzuregen und es zu einer europäischen Aufgabe zu machen.

Die Tabus um dieses Thema sind mächtiger, als wir ahnen. Die Täter etwa weisen ihre Schuld meist zurück und verweigern sich der Therapie. Und die übrige Gesellschaft hegt über Macho-Verhalten oft Annahmen, die falsch sind. So zeigen Schwaigers Recherchen, dass die Zahl weiblicher Gewaltopfer in Deutschland und Österreich deutlich höher liegt als in Spanien. Bis heute führen diese Länder keine Statistik, die Aufschluss über geschlechtsspezifische Gewalttaten erlauben würde. Der Film «Martas Koffer» bietet die Chance, mit der Aufklärung zu beginnen.

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