Eine Einschätzung der Wahlergebnisse fällt dem in Basel lebenden Rocchi nicht schwer: «Entweder fährt man ein Auto zusammen in dieselbe Richtung, oder man bleibt stehen. Man kann nicht mit einem Auto in zwei Richtungen fahren», stellt er fest, während er auf seinem iPad die «Gazetta dello Sport» liest. Politik in einer Sportzeitung? «Ja, die Gazetta hat jetzt drei politische Seiten ganz am Ende.» Das passe zu Italien – es sei ein Land des Widerspruchs. Man sage nie «weiss» oder «schwarz».
Und während die deutschen Zeitungen heute von einer italienischen Katastrophe sprechen würden, gehe es in Italien heute vor allem um den Fussballer Maradona. «Natürlich ist die Wahl ein Thema, aber nicht das einzige. Zum Beispiel warten um 7 Uhr früh in Rimini alle auf einen Zug, der 10 Minuten Verspätung hat. Das ist auch ein Problem.» Italien sei wie eine Pizza «Quattro Staggioni», vergleicht der Komiker sein Heimatland.
Offiziell wählt niemand Berlusconi
Enttäuscht vom Resultat ist Rocchi aber nicht wirklich, denn als Komiker und Kabarettist könne er sowieso nie gewinnen in Italien. «Als Bürger frage ich mich aber: Wer wählt Berlusconi? Denn in der Öffentlichkeit wählt niemand Berlusconi – zumindest gibt es niemand zu.»
Was kann nun diese Regierung überhaupt machen? «Wie gesagt: ein Auto fährt nicht in zwei Richtungen. Es gibt nur zwei Wege: Kompromiss oder Wiederwahl.» Europa und die Welt schaut gerade mit grosser Besorgnis nach Italien, was da gerade geschieht. Aber wie empfinden das die Italiener eigentlich? «Die Italiener sollen wählen, wen sie wollen. Für die Deutschen wäre Monti der Beste, für Hollande Berzani, für die Schweizer wäre ein Kompromiss am besten. Alle versuchen dem anderen ihre Lösung aufzuzwingen – das geht nicht. Der Alltag in Italien ist einfach anders als bei uns.»
Ein Sieg für die «Showmen»
Fest stehe aber: Gewonnen haben die «Showmen» Berlusconi und Grillo. Italien sei darum wahrscheinlich immer noch eine Bühne. Der Komiker Grillo spüre sein Publikum. Und er habe gemerkt, dass die Gesellschaft in einem Wandel ist. Grillo habe ohne TV aber mit Facebook und Internet gewonnen – und die Leute auf die Piazza gebracht. Er habe den Linken und den Rechten mit seiner populistischen Bewegung ein Strich durch die Rechnung gemacht, so Rocchi.
«In ihrer Art sind sich Grillo und Berlusconi gar nicht unähnlich. Beide sagen: Ich habe die Lösung. Das Problem ist aber: Es gibt keine Lösung für Alleinherrscher und Tyrannen. Die Lösung muss immer ein Kompromiss sein. Aber der eine hat in 19 Jahren nie etwas gemacht, ausser zu sich selbst geschaut, und der andere hat in letzter Zeit kaum etwas im Parlament bewirkt. Deshalb haben wir mit Berlusconi und Grillo zwei wunderbare Shows – obwohl Bersani und Monti viel mehr erreicht haben. Aber sie haben kein Geschrei gemacht oder gesagt: Das ist die Lösung. Und eine langfristige Lösung, oder ein Medikament, das länger braucht, bis es wirkt, gefällt den Italienern halt nicht.»
Fehlendes Vertrauen in die Politik
Die Wahlbeteiligung war am Sonntag sehr niedrig: Nur 55 Prozent der 50 Millionen Wahlberechtigten hatten ihre Stimme abgegeben. Normalerweise liegt die Beteiligung in dem Land bei etwa 80 Prozent. Massimo Rocchi sieht das Problem im fehlenden Vertrauen in die Politik. «Grillo ist gegen die Skandale und hat gewonnen. Berlusconi ist der Skandal und hat auch gewonnen. Für mich heisst das: Italien hat seine Geschichte nicht verdaut. Italien ist der Verlierer des Zweiten Weltkriegs, noch immer liegen Brösmeli von Mussolini herum. Die Geschichte ist eine sehr grosse Wahrheit.»
Geht es nun weiter wie bisher oder bedeutet dieses Wahlresultat einen Schnitt? «Ich habe es schon gesagt: Es gibt nicht nur ein Thema in Italien. Vor dem Vatikan gab es die römischen Götter. Hermes war der Gott der Kommunikation und der Diebe. Hera, die Frau von Zeus, war auch seine Schwester. Sie war die Göttin der Sexualität und der Hochzeit – das ist schwierig zu kombinieren. Das Wort «Crisis» heisst «Wahl». Das Leben ist ein Widerspruch. Für uns alle.»
Wenn Massimo Rocchi einen Wunsch für sein Heimatland frei hätte, würde er sich vor allem eines wünschen: Realität. «Die Leute sollen sich das Leben durch das Fenster anschauen und nicht durch den Fernseher. Das Fenster hat keine Fernbedienung.»