Er ist Architekt. Sie ist Modezeichnerin. Die beiden haben drei Kinder und leben in einem Loft in der Innenstadt. Man würde sie als weltläufig und krisenerprobt bezeichnen, grün und links in den Gedanken. Doch dann kam es auf den Tisch: Ihr 17jähriger Sohn Elias ist schwul. Verliebt in einen 18Jährigen. Und das nicht erst seit gestern.
Der Schock
Das Coming out traf die Eltern und Geschwister wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Dass es Schwule und Lesben gibt? Kein Problem. Aber in den eigenen vier Wänden? «Lieber ist einem die Vielfalt schon, wenn sie die anderen betrifft», sagt die Mutter. «Zugegeben, ich finde es schwierig», der Vater.
Wird es für unseren Sohn schwieriger sein, seinen Platz zu finden in einer heterosexuell ausgerichteten Welt? Wird unsere Tochter in der Schule gemobbt werden? Wie sagen wir das unseren Verwandten? Ist mein Kind HIV-gefährdet? Werden wir nun auf Grosskinder verzichten müssen? Haben wir in der Erziehung etwas falsch gemacht? Viele Fragen stürzen in diesem Moment auf die Eltern homosexueller Jugendlicher ein.
Viele Ängste sind entmystifizierbar
Ein neu erschienenes Buch soll Antworten auf die mitunter auch quälenden Fragen liefern: «Mein Kind liebt anders» ist ein Ratgeber für Eltern homosexueller Kinder.
Der Autor Udo Rauchfleisch ist Professor für klinische Psychologie, Psychoanalytiker und Psychotherapeut mit eigener Praxis in Basel. Der Siebzigjährige hat sich in seinem Forscherleben intensiv mit Fragen der sexuellen Identität und sexuellen Orientierung befasst. Er nimmt die Ängste der Eltern ernst und entmystifiziert auch einige: «Die Sexualwissenschaft hat eindeutig bewiesen, dass Homosexualität nicht auf irgendwelche Erziehungsfehler zurückzuführen ist.»
Wege aus dem Schock
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In der Fachwelt spricht man von «heterosexueller Vorannahme». Gemeint ist, dass sich keine Mutter und kein Vater vorstellt, ihr Kind könnte homo- oder auch bisexuell sein. Dabei ist beides keine Seltenheit. «Es ist peinlich, aber wir müssen es zugeben: Wir haben Probleme mit der Schwulheit unseres Sohnes», sagt der Architekt, während er seine Designerschuhe bindet. Und seine Frau: «Aber wir möchten auf keinen Fall unsere Beziehung zu Elias aufs Spiel setzen.»
Die therapieerfahrenen Eltern von Elias haben sich deshalb entschlossen, Orientierung in einer Selbsthilfegruppe zu holen. Zum Glück, wie sie finden. Seither flacht der Schock ab und ist nur noch eine Rest-Irritation im Alltag – immer wieder ein Anlass zu neuen Gedanken.
Vielfalt als Chance?
Udo Rauchfleisch verweist auf das moderne Zauberwort «Diversity», Vielfalt: «Jede Firma, die etwas auf sich hält, plädiert für Vielfalt als Wettbewerbsvorteil. Dazu müssen auch verschiedene sexuelle Ausrichtungen gehören.»
Der Psychologe erwähnt ebenso, dass das Anderssein ein Eingangstor für gewinnbringende philosophische Fragen sein kann. Die lesbische Tochter, der schwule Sohn als Horizonterweiterung? Wenn es gut geht, durchaus, findet Rauchfleisch. Das Wichtigste sei, dass die Eltern zu ihrer Irritation stehen und mit ihren andersgeschlechtlich liebenden Kindern in Verbindung bleiben.