Gegenwärtig leben 54 Prozent der Weltbevölkerung in Städten. In 50 Jahren werden es nach heutigen Prognosen etwa 70 Prozent sein. Der Alltag urbaner Räume wird immer stärker über webbasierte Anwendungen organisiert, und auch geformt. Die digital vernetzte Smart City mag den Alltag komfortabler machen – doch gängelt sie womöglich die Bewohner, killt den Rest der Privatsphäre? Zwingt sie in vorprogrammierte Verhaltens- und Bewegungsmuster? Fragen, die an der Ars Electronica heiss diskutiert werden.
Der erweiterte Mensch
Durch die rasche Entwicklung der Robotik könnte es künftig in den Städten nicht mehr genug Arbeitsplätze geben. Auf dem Festival wird ein Prototyp vorgeführt, der den Menschen nicht ersetzt, sondern ihn buchstäblich grösser und stärker macht: ein fünf Meter hoher Riesenroboter aus Japan. Ein Gestell auf schwarzen Stahlbeinen mit einem Hochsitz; dort kann man aufsteigen und die Konstruktion mit den Bewegungen der Arme und Beine steuern, die Stelzen und Greifarme fungieren als Verlängerungen der menschlichen Glieder. Bei Naturkatastrophen mag dies womöglich gute Dienste leisten.
Die Linzer Ars Electronica ist eines der weltweit grössten Festivals seiner Art. Und das in einer Stadt, die kaum 200‘000 Einwohner zählt. Hauptschauplatz ist in diesem Jahr ein leer stehendes Postverteilerzentrum mit 100‘000 Quadratmetern Fläche. Die imposanten Hallen würden als Location auch New York Ehre machen. Im Inneren wurde eine Stadt in der Stadt aufgebaut.
Getarntes Fahrrad trifft Luxusauto
Da werben etwa innovative Fortbewegungsmittel oder Architekturmodelle um Aufmerksamkeit. Der Fokus liegt auf Nachhaltigkeit. «Fahrradi» heisst ein rotes Auto in Ferrari-Optik. Die Karosserie besteht aus Pappe. Das Innenleben ist ein raffiniertes Gespann von zwei Liegerädern nebeneinander.
In Sichtweite prunkt das Kontrastprogramm: Der Prototyp eines selbstfahrenden Mercedes der Zukunft, bestimmte Features des Luxuswagens wurden vom Ars Electronica Future Lab mitentwickelt. Für diese Nähe zur Industrie muss sich Festivalleiter Gerfried Stocker seit Jahren Kritik gefallen lassen. Er jedoch steht dazu. «Wir arbeiten hart daran, dass wir bei Forschungsprojekten solcher Firmen dabei sein können, weil das die einzige Möglichkeit ist, durch die Sensibilität und die Orientierung an den Bedürfnissen der Menschen, die wir aus der Kunst kennen und leben, etwas beizutragen.»
Jahrmarkt, Kunstschauplatz, Diskursforum
Dass die Ars Electronica auch ein grosser Jahrmarkt ist, stört nicht, solange genügend eindrucksvolle Medienkunstarbeiten geboten werden. Beim Symposion «Post Cities» wurde etwa die Debatte über die asiatischen Megacities besonders differenziert geführt. Sicher herrscht Goldgräberstimmung unter Investoren in China oder Indien, die möglichst schnell und billig Hochhausghettos mit mehrspurigen Highways aus dem Wüstenboden oder Ackerland stampfen möchten.
Die indische Stadtforscherin Geeta Mehta, die an der New Yorker Columbia University lehrt, hofft dennoch auf eine Trendwende – weg von der Masterplan-Metropole, der sprichwörtlichen Reissbrettstadt: «Die nutzergenerierte Stadt ist im Kommen. Die Menschen haben jetzt die Macht, Ideen zu kreieren und auszudrücken. Früher konnte man seine Ideen ohne viel Geld oder eine Machtposition nicht an die Öffentlichkeit bringen. Jetzt, in Zeiten von Social Media, geht das.»
In einigen afrikanischen Städten arbeitet Geeta Mehta mit lokalen Communities. Sie regt die Bewohner an, eigene Konzepte für den Um- und Weiterbau ihrer urbanen Lebensräume zu entwickeln. Dann hilft sie ihnen, diese Ideen auch mit dem entsprechenden Nachdruck an Behörden heranzutragen. Die Ars Electronica bildet schon durch ihre schiere Grösse ein geeignetes Forum, um solchen Projekten zu internationaler Breitenwirkung zu verhelfen.