«Als Künstler muss ich nicht über Putin schreiben», sagt der russische Schriftsteller Michail Schischkin. «Aber als Bürger – als Russe – muss ich tun, was ich kann.»
Und das tut er. Während er in der Schweiz vor allem als Autor tätig ist, wird er in Moskau zum Aktivisten: Da protestiert er auf den Strassen, in Gesprächen, in Interviews – Schischkin will aufklären.
Dabei setzt der Autor klare Zeichen: Im letzten Frühjahr hat er sich offen mit dem Kreml angelegt. Er hat sich geweigert, mit der offiziellen russischen Schriftstellerdelegation an eine Buchmesse nach New York zu reisen. Er wollte nicht das Image von Putins Russland in der Welt polieren.
«Putin missbraucht die Spiele»
Um das Bild nach aussen gehe es nun auch bei den Olympischen Spielen: «Putin missbraucht die Spiele, um sein Image aufzupolieren. Er betrachtet den Anlass als seinen persönlichen Erfolg.»
50 Milliarden Dollar lässt sich Russland dieses Prestigeprojekt kosten. Es sind die teuersten Olympischen Spiele der Geschichte, vier Mal so teuer wie ursprünglich veranschlagt.
Für Schischkin sind sie ein Zeugnis der Misswirtschaft in Russland. Soviel Staatsgelder wurden noch nie geklaut, sagt er: «In Russland wird nichts produziert. Dafür wird der eigenen Bevölkerung Gas, Erdöl und Bodenschätze weggenommen – und in den Westen verkauft.» Nur: Die Erträge würden nicht mit dem eigenen Volk geteilt.
Alles bloss Fassade
Dafür liess Russland eine gigantische Anlage für die Olympischen Spiele in Sotschi bauen. Die Zeitungen berichten von Korruption und Veruntreuung. Was nach den Spielen mit der riesigen, schnell gebauten Betonlandschaft geschieht, ist noch völlig offen. Glamourös soll es werden – zumindest während der Olympischen Spiele.
Michael Schischkin vergleicht es mit den Dörfern des russischen Fürsten Potemkin vor über 200 Jahren: Fassaden, nichts dahinter. Oberflächlich beeindruckend, aber ohne Substanz. «Gelder, die eigentlich für Schulen oder Krankenhäuser gedacht waren, wurden nur für dieses Potemkinsche Dorf ausgegeben. Das ist Schmach und Schande für das ganze Land.»
Solidarität mit Kriminellen?
Beiträge zum Thema
- Sotschi 2014 – Die Spiele in der Kritik (Input, 2.2.2014)
- «Ein Boykott trifft die Falschen» (SRF 4 News, 7.1.2014)
- Propaganda: Olympische Spiele und Politik (SRF 4 News, 7.1.2014)
- Sotschi als Spiegel der Weltlage (Kultur kompakt, 20.12.2013)
- Sotschi: Putins Prestigeprojekt (International, 23.11.2013)
Einige boykottieren die Olympischen Winterspiele, zum Beispiel der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck. Hätte auch die Schweiz die Spiele boykottieren sollen?
Darüber urteilen will der in der Schweiz lebende Schriftsteller Schischkin nicht. Doch seine Meinung ist klar, was eine Reise nach Sotschi bedeutet: «Eine Bande von Kriminellen hat das ganze Land als Geisel genommen. Die Wahlen wurden gefälscht, im Kreml sitzen die Usurpatoren.» Die Olympischen Spiele seien dabei wie ein Test für andere Länder: «Wollen sie Solidarität mit den Kriminellen zeigen – oder wollen sie die Solidarität mit den Geiseln zeigen?»
Die Sportler sind die Verlierer
Für die Sportler hat Michail Schischkin Verständnis. Für sie sei es keine leichte Entscheidung, haben sie doch ein Leben lang dafür trainiert. Sie seien denn auch Verlierer dieser Spiele: «Es sollte ein Fest des Sports sein – sollte. Aber unter diesen Umständen ist dies unmöglich.»