Über drei Millionen Touristen flanieren jedes Jahr über die Promenade von Liberty Island. Rund zehn Minuten braucht man für die Umrundung zu Fuss. Fahrzeuge gibt es hier keine, nur mit der Fähre ist die kleine Insel vor New York City zu erreichen. Der Eintritt auf die Insel und Promenade ist frei. Aber her kommt nur, wer das kostenpflichtige Boot von der Südspitze Manhattans nimmt. Und nur 365 Besucher, die sich monatelang im Voraus angemeldet haben, werden täglich zur Krone hinauf gelassen – von wegen Freiheitsstatue.
Ein universelles Symbol
«Für die US-Amerikaner ist die 1886 eingeweihte Miss Liberty ein universelles Symbol», erklärt der Historiker Barry Moreno. Zum Beispiel für die Überlegenheit und Vollkommenheit der eigenen Demokratie. Sie würde bezeugen, dass die USA das liberalste Land der Welt seien und ihre Bürger den Nimbus der Einzigartigkeit besässen.
Wann immer Miss Liberty ideologisch gebraucht wurde, sagt Moreno verschmitzt, wurde sie von den politisch Mächtigen als Symbol eingesetzt: im Kampf gegen Mussolini, gegen Hitler und Stalin, gegen den japanischen Militarismus, gegen Totalitarismus und Kommunismus. Auch nach dem Terroranschlag vom 11. September sei die Freiheitsstatue instrumentalisiert worden, so wie nach Pearl Harbor oder dem D-Day.
Gesicht der Mutter, Körper der Geliebten
Die Idee, auf das kleine Eiland eine Promenade mit symbolträchtiger Frauenfigur zu stellen, hatte der französische Liberale Edouard de Laboulaye. 1865 beschlossen er und seine Partei, den Idealen der Freiheit mit einem symbolischen Geschenk an die Vereinigten Staaten zu huldigen – und damit gegen die Politik Napoleons III. zu protestieren.
Der Zeitpunkt war gut gewählt. Der Bürgerkrieg zwischen den Nord- und Südstaaten war vorbei, die Sklaverei abgeschafft, der hundertste Geburtstag der jungen US-amerikanischen Nation stand bevor. Zunächst dachte man an eine Geschenkmünze aus Gold, aber bald war daraus ein Riesendenkmal aus Kupfer und Stahl geworden. Die Idee der Freiheitsstatue war geboren.
Ein Geschenk von Freimaurern
Frederic Auguste Bartholdi aus Colmar im Elsass wurde damit beauftragt, eine mächtige Statue nach der Art des Koloss von Rhodos zu schaffen. Er konzipierte eine Dame von 46 Metern Höhe. Für das Gesicht diente ihm seine alleinerziehende Mutter als Modell, für den Körper seine Geliebte.
Aber diese Geschichte kennen gemäss Moreno nur wenige: «Viele Besucher wissen nicht, dass die Freiheitsstatue vor allem den Freimaurern und ihrer Unterstützung zu verdanken ist. Manche Leute denken, dass Miss Liberty für die Emigranten gebaut wurde, die nach Amerika kamen». Aber das sei ebenso falsch wie die Annahme, sie sei ein Mahnmal für das Ende der Sklaverei in den USA.
Sicherheitsschleusen und Souvenirläden
Unmittelbar nach den Terroranschlägen vom 11. September wurde Liberty Island gesperrt. Zwar durfte die Insel schon wenige Wochen wieder betreten werden, doch die bronzegrüne Dame blieb jahrelang ein No-go-Bereich für die Öffentlichkeit – aus Sicherheitsgründen, wie es offiziell hiess. Schliesslich wurde der Zugang zum Sockel der Miss Liberty am 3. August 2004 wieder freigegeben, ab 2009 auch der Zugang zur Statue.
Seit dem 4. Juli 2013 ist die 93 Meter hohe Touristenattraktion nach einigen Restaurierungen feuerfest und bombensicher. Wer unter den Füssen der Freiheitsgöttin das neue Museum besuchen will, muss Sicherheitsschleusen mit modernster Technik passieren. Ringsherum: Fastfood Restaurant, Museumsshop, Andenkenladen mit billigen T-Shirts, Kaffeetassen, Plastikfreiheitsinseln, Stars-and-Stripes-Fähnchen.
Die Statue werde von allen instrumentalisiert, von Konservativen, Liberalen, Radikalen, und sie werde für kommerzielle und gewerbliche Zwecke benutzt, so Moreno. Was das aus Miss Liberty macht? «Miss Liberty ist heute ein leeres Symbol, nicht nur weil sie im Innern hohl ist.»