Wilhelm Schmid bezeichnet sich als Lebenskunst-Philosoph. In Anlehnung an das antike Verständnis versteht er unter Lebenskunst die Fähigkeit, aus sich selber und entsprechend aus seinem Leben etwas zu machen. Das Glück kommt laut Schmid nicht zu uns, indem wir auf günstige Zufälle hoffen oder unser Image polieren, sondern indem wir unsere Möglichkeiten ausloten und nutzen.
Mit sich selber befreundet sein
Das bedingt, die eigenen Möglichkeiten überhaupt zu kennen, sagt Schmid. Ein erster Schritt dazu ist es, sich über die eigenen Ziele, Wünsche, aber auch Verletzungen klar zu werden und so die Fäden zu spannen, in dessen Netz wir unser Leben gestalten können.
Wenn wir über uns nachdenken, lernen wir «mit uns selber befreundet zu sein», sagt Schmid, und uns selber liebevoll zu begleiten in unserem Dasein. Schmid schlägt vor, sich für diesen Prozess sieben Fragen vorzunehmen, die er als «Punkte der Selbstdefinition» bezeichnet.
Die sieben Fragen im Selbsttest
Im Vorfeld zur Sendung «Sternstunde Philosophie» mit Wilhelm Schmid hat Moderatorin Barbara Bleisch den Selbsttest gemacht und die sieben Fragen beantwortet.
1. Was sind meine wichtigsten Beziehungen der Liebe und der Freundschaft, über die ich mich definieren will?
Barbara Bleisch: Ich definiere mich nicht über Beziehungen. Aber wenn die Frage lautet: Wer liegt mir am meisten am Herzen, dann wohl ganz klassisch: meine Kinder, deren Vater, und ein paar wirklich gute Weggefährten, die mich auch dann aushalten, wenn ich meiner überdrüssig bin.
2. Was sind die wichtigsten Erfahrungen in meinem Leben, die fester Bestandteil meiner selbst bleiben sollen?
Der Mensch ist die Summe seiner Erfahrungen, sagt der Volksmund. Ich halte mich deshalb für einen Flickenteppich an Erfahrungen, die sich nicht nach Gutdünken aussortieren lassen. Der eine Flicken ist greller, der andere verschwindend klein, aber jeder hat seine Bedeutung.
3. Was ist mein Traum, mein Glaube, mein bestimmter Weg und vielleicht mein Lebensziel, meine Sehnsucht, der ich im Leben folgen will?
Ich habe kein starres Lebensziel und verspüre keine Berufung. Aber ich stimme Nelly Sachs zu, die sagte, alles beginne mit der Sehnsucht. Meine Sehnsucht ist deshalb, mich überhaupt zu sehnen, für etwas zu brennen. Das führt für mich zu dem, was Peter Sloterdijk «Vertikalspannung» nennt – die Sehnsucht, über sich herauszuwachsen. Ohne diese Spannung langweile ich mich.
4. Was sind bestimmte Werte, die ich hochhalten, aber auch selbst realisieren will, und welcher Wert soll im Zweifelsfall Vorrang haben, wenn etwa zwischen Freiheit und Bindung oder Risiko und Sicherheit zu wählen ist?
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Aufrichtigkeit ist für mich unverzichtbar. Dazu gehört, sich eine Haltung zu leisten und diese ehrlich zu vertreten, sich selber und anderen gegenüber. Eine Haltung zu haben steht in Spannung zum Umstand, dass ein aufrichtiges Leben auch Ambivalenzen aufdeckt. Denn wenig ist eindeutig. Die Spannung zwischen Positionsbezug und dem Aushalten von Ambivalenzen lässt sich nicht auflösen.
5. Welche Gewohnheiten will ich sorgsam pflegen, in denen sich das Leben wohnlich einrichten lässt?
Gewohnheiten finde ich eher unheimlich. Ich fürchte Selbstgerechtigkeit als Folge. Gewohnheiten mit anderen Menschen zu teilen im Sinne von Freundschaftsritualen pflege ich dagegen gern, weil sie vereinzelte Individuen zu einem Wir zusammenfügen.
6. Was sind meine Ängste, die einfach da sind, meine Verletzungen, die ich erfahren habe, gegen die ich nicht ankomme, die ich aber in mein Selbst integrieren kann?
Vielleicht die Angst, etwas zu verpassen? Diese Angst basiert aber nicht auf einer Verletzung – sondern eher auf der existentiellen Kränkung der eigenen Endlichkeit. Wobei ich den Gedanken, sterblich zu sein, auch tröstlich finde.
7. Was ist das Schöne, an dem ich mein Leben orientieren kann: Momente, Anblicke, Arbeiten, Gedanken, die Sinn vermitteln und zu einer Quelle von Kraft werden?
Durch den Herbstwald stapfen. Dem immer gleichen Reiher im Tobel begegnen und ihn still grüssen. Sehr laut Bachs Konzert für vier Klaviere und Orchester hören. Mich mit meinen Kindern kaputtlachen. Gedichte lesen. Zeit zum Nachdenken zu haben. Da halte ich’s ganz mit Platon, der in seiner «Apologie» schreibt: Ein Leben, über das nicht nachgedacht wird, ist ein Leben, das sich nicht zu leben lohnt.