Wie ein Bandmitglied stehen die Dolmetscherinnen vom Verein Mux neben den Musikern auf der Bühne. Ob nun bei Golä, Sina, Patent Ochsner oder Marc Sway, mehrmals im Jahr übersetzen sie Livekonzerte in Gebärdensprache. Ihre blitzschnellen Gesten und ihr Körpereinsatz geben aber nicht nur über den Text Auskunft, sondern auch über die Musik: Welche Stimmung, Lautstärke, Intensität sie gerade hat, wie der Rhythmus ist und welches Instrument dominant erklingt.
Damit der Gebärdenfluss präzise mit dem Puls des Liedes harmonieren kann, muss jede Bewegung absolut simultan zur Musik sein – ohne die typische Verzögerung, die sonst beim Übersetzen entsteht.
Dieses komplexe Multitasking gelingt den Dolmetscherinnen nur mit intensiver Vorbereitung: Schon Monate vor einem Einsatz lernen sie die Lieder auswendig und befragen die Musiker zu den Inhalten. Mit viel Fantasie und im Austausch mit Gehörlosen entwickeln sie dann die Gebärden.
Beiträge zum Thema
Musikübersetzung ist Kunst
«Ich habe durch die Dolmetscherinnen verstanden, dass Musik von Wiederholungen lebt. So habe ich einen Einblick in diese Kultur bekommen», berichtet Ruedi Graf vom Schweizerischen Gehörlosenbund SGB-FSS von einem gedolmetschten Konzert.
Der Winterthurer ertaubte, als er viereinhalb Jahre alt war. Weil Musik und die Erinnerung an Musik für ihn bis heute wichtig sind, sprechen ihn die Übersetzungen von Mux besonders an. Vor den ehrenamtlich arbeitenden Dolmetscherinnen zückt er den Hut: «Musikübersetzung ist eine Kunst. Ich bin sehr beeindruckt von der Kompetenz der Dolmetscherinnen.»
Andere Gehörlose wie die Journalistin Karin Schmidt begegnen dem Musik-Dolmetschen mit Skepsis: Sie sehen darin eine übertriebene Anpassung an die Welt der Hörenden, stören sich an der auffällig grossen Medienpräsenz und betonen, dass viele Gehörlose schlichtweg kein Bedürfnis nach dem Zugang zu Musik haben.
Musik nicht zu hören ist kein Defizit
Gerade Hörende, die sich stark mit Musik identifizieren, sind immer wieder neugierig, wie Gehörlose Musik wahrnehmen. Doch oft lauert hinter diesem Fokus die diskriminierende Annahme, ein Leben ohne Musikhören sei weniger erfüllt. Dies blendet aus, wie vielfältig die Gehörlosenkultur selbst ist – vom Poetry Slam in Gebärdensprache über eigene Kunstrichtungen bis zu Gerhörlosen-Partys.
Hörende können sich nur schwer vorstellen, wie lebendig Gehörlose Konzerte wahrnehmen. Ruedi Graf geniesst zum Beispiel das Gemeinschaftserlebnis im Publikum in vollen Zügen, er beobachtet wie sich die Musiker auf der Bühne verausgaben, und er fühlt die Vibrationen durch die Lautsprecher: «Der Musikstil ist nicht so wichtig für mich, Hauptsache, es ist laut. Ich will den Bass. Ich verstehe Musik zwar nicht über die Ohren, aber ich spüre sie.»
Link zum Thema
Dieses Live-Erlebnis können die Mux-Dolmetscherinnen mit den Musik-Übersetzungen bereichern. Wenn sie neben der Band auf der Bühne stehen, senden sie aber auch ein wichtiges Signal – an das gehörlose und an das hörende Publikum, sagt Ruedi Graf: «Die Leute sehen die Gebärdensprache und ihr Bewusstsein für gehörlose Menschen wird geweckt. Das ist wertvoll für die Integration. Wenn Konzerte verdolmetscht werden, spüre ich Wertschätzung, ich fühle mich willkommen und als Teil der Gesellschaft.»