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Eine Frau hält Blatt, auf dem ein grosses Ohr abgebildet ist, an ihren Kopf. Dahinter steht ein Mann mit Schweizerfahne.
Legende: Verständigung ist für den Hörer aufwändig, sagt der Mundartforscher Haas. Bildmontage/Getty Images

Gesellschaft & Religion «Mundarthörer sind extrem flexibel im Kopf»

Die Dialektologie schaut seit Jahrzehnten auf Unterschiede und Abweichungen von der Norm. Mundartforscher Walter Haas dreht die Sache um: Noch viel spannender ist für ihn die Frage, warum all die Sprecher sich verstehen.

«Gummeli», «hoppid», «Mektig»* – gerne zelebrieren wir Unterschiede. Wir sagen, dieses und jenes Wort gäbe es nur in dieser und jener Mundart. Lautung, Grammatik und Satzmelodie sind so starr, dass sich räumliche Unterschiede über Generationen erhalten. Wir reden von Dialekten.

Wir erkennen Schattierungen rasch

Oft geht dabei aber vergessen, dass wir uns trotz all dieser hochgejubelten Unterschiede verstehen. Dialektforscher Walter Haas: «Beim Zuhören sind wir Deutschschweizer extrem flexibel. Weil viele Formen gar nicht so unterschiedlich sind, wie wir meinen. Und weil wir uns gewohnt sind, lautliche Schattierungen herauszuhören.» So kann in der Deutschschweiz jeder seinen Dialekt sprechen und die Kommunikation funktioniert trotzdem.

Walter Haas weiss, wovon er spricht. Der 73-Jährige war viele Jahre Professor für Germanistik an der Universität Freiburg i. Ü. Da war er selbst Teil der Dialektologen, die sich an Unterschieden ergötzten. Der Wandel ist ja auch faszinierend. Ausserdem ist das Reden viel einfacher zu beobachten als das Hören.

Walter Haas

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Professor Walter Haas hat bis 2009 an der Universität Freiburg (CH) gelehrt, wo er weiterhin lebt und forscht. Er hat sich vor allem in den Forschungsgebieten Dialektologie und Soziolinguistik einen Namen gemacht. Aber auch über die speziellen Sprachverhältnisse in der Schweiz und die Sprachgeschichte hat er oft publiziert.

Blitzschnell machen wir Hypothesen

Für Haas ist aber klar: «Verständigung ist für den Hörer eine aufwändige Tätigkeit. Wir geben ihm ein Signal – er macht daraus eine Bedeutung. Das ist eine grosse Leistung.» Wenn sich die Leute verstehen wollen, können laut Haas viele Missverständnisse verhindert werden.

«In unseren Köpfen überlegen wir uns immer blitzschnell, was der andere wohl meint. Passt diese Aussage zur Situation? Stimmt sie mit meiner Welterfahrung überein? Wenn nicht, machen wir neue Hypothesen, bis wir das Gefühl haben, es passt.» So verstehen wir einander in kürzester Zeit. Eigentlich ein Wunder.

Mundartsprecher im Vorteil

Gleichzeitig passen sich viele Leute dialektmässig an. Ist das nicht ein Widerspruch? Anpassen hat gemäss Haas keine direkt sprachlichen Gründe. Es hänge mit der Einstellung des Sprechers zusammen. Dieser fürchte, das Gegenüber könnte ihn nicht verstehen. Und oft wolle man ja nicht als Exot wahrgenommen werden oder über Dialekte sprechen, sondern einfach ein Pfund Brot kaufen und basta.

Walter Haas hebt auch hervor, dass es Hinweise gibt, Mundartsprecher hätten durch die flexible Hörhaltung einen Vorteil beim Erlernen von Fremdsprachen: «Wir sind es halt gewöhnt, mit Schattierungen zu fuhrwerken.» Die komplexe Dialektsituation ist also durchaus ein Vorteil.

*Gummeli «Kartoffel» im Kanton Schwyz, hoppid «Hallo zusammen» in Brienz, Mektig «Mittwoch» in Appenzell.

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