Es war ein einschneidendes Ereignis in der Geschichte des Landes: Während des Ersten Weltkrieges entriss Südafrika das riesige Deutsch-Südwestafrika den Deutschen mit Waffengewalt. Als der Krieg vorbei war, wurde Deutsch-Südwestafrika dem südafrikanischen Staat als Mandat zur Verwaltung zugeteilt.
Zu Beginn betrieb Südafrika eine vergleichsweise moderate Kolonialpolitik. Das änderte sich jedoch bald gründlich: Zu verlockend war der Reichtum, der in den namibischen Böden steckte – allem voran die Diamanten.
Die reinsten und teuersten Diamanten der Welt
Ein Bahnarbeiter entdeckte die Edelsteine 1908. Bis heute gelten sie als die reinsten und teuersten Diamanten der Welt. Namibia zählt weltweit zu den zehn grössten Diamantenproduzenten. Heute fliesst ein grosser Teil der Erträge in die Kasse des namibischen Staates. Das war nicht immer so: Vor der Unabhängigkeit im Jahr 1990 besass die südafrikanische Firma de Beers das Monopol auf Diamanten und kanalisierte die Erträge direkt nach Südafrika.
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Südafrika betrachtete das riesige Namibia als sein «Hinterland», rekrutierte Tausende von Wanderarbeitern und zwang diese, in südafrikanischen Betrieben zu schuften. Diese Wanderarbeiter erlebten hautnah die Auswirkungen der Apartheidspolitik. Als 1960 die namibische Volkspartei, die SWAPO, zum Widerstand gegen die südafrikanische Besetzung rief, traten die Arbeiter der neuen Partei rasch und zahlreich bei.
Furcht vor der Unabhängigkeit
1966 beschloss die SWAPO den bewaffneten Widerstand. Die Kämpfer flohen in die Nachbarländer, von wo aus sie die südafrikanische Armee bekämpften. Unterstützung erhielten sie von Russland, Kuba und anderen kommunistischen Staaten, aber auch von der Uno. Denn die Kolonialpolitik Südafrikas war nicht im Sinne des einst erteilten Uno-Mandates.
Bis in die späten 1980er-Jahre wurde heftig gekämpft – im Norden, entlang der angolanischen Grenze. Die Weissen in Namibia – ihnen gehörten 95 Prozent des Bodens – fürchteten sich vor einer möglichen Unabhängigkeit, weil die SWAPO eine klassenlose Gesellschaft propagierte.
Auch einzelne Ethnien in Namibia fürchteten einen Friedensschluss – vor allem die Rache der Sieger. Denn nicht alle Schwarzen kämpften auf derselben Seite.
Keine alten Wunden aufreissen
Das Land war wegen der gezielten «Teile-und-herrsche-Politik» Südafrikas innerlich zerrissen. Die Uno und die SWAPO-Führung versuchten deswegen, mit einer soliden Verfassung alle Gruppierungen in den Prozess des «nation building» einzubinden.
Das waren die rund 90'000 Weissen, denen beinahe das ganze Land gehörte, das waren die 1,5 Millionen Schwarzen, von denen zwei Drittel arbeitslos waren, das waren 45'000 SWAPO-Kämpfer, die aus den Kriegscamps ins unabhängige Namibia zurückkehrten: eine höchst explosive Mischung. Sam Nujoma, der erste Staatschef des jungen Namibias, propagierte deswegen die nationale Versöhnung.
Anders als Nelson Mandela in Südafrika, der im ganzen Land öffentliche Hearings veranstaltete, wo Täter und Opfer sich gegenübertraten und die Täter ihre Taten lückenlos eingestehen sollten, wollten Sam Nujoma und seine Gefolgschaft keine alten Wunden aufreissen mit einer Politik der Offenlegung. Vielmehr stand der Blick nach vorne im Zentrum, ein Strich unter alte Rechnungen, ein Neuanfang, zu dem alle eingeladen waren. Was war, sei vorbei, lautete der Tenor: Verbrechen würden nicht geahndet. Mit einer Generalamnestie wollte die SWAPO Hass und Ungerechtigkeit verbannen.
Friede und Stabilität
«Dieses Schweigen hat dem Land viele Probleme gebracht», meint die englische Historikerin Marion Wallace, die die erste allgemeine Geschichte Namibias bis zur Unabhängigkeit verfasst hat. «Aber es hat tatsächlich zu einer beachtlichen Stabilität des jungen Landes geführt»
Inzwischen sind drei Präsidenten demokratisch gewählt worden. Der zweite, Hifikepunye Pohamba, erhielt für seine integre Regierungsführung den «Mo Ibrahim Prize for Archievement in African Leadership»: Fünf Millionen US-Dollar und dazu 200'000 Dollar jährlich für den Rest seines Lebens. Trotz enormer ökonomischer Unterschiede und Ungerechtigkeiten funktioniert die Verfassung Namibias tatsächlich: Der soziale Frieden im Land ist vergleichsweise gross.