Hans Werner Wahl ist Professor für Alterspsychologie. Er hat eine Antenne für technische Erneuerungen. Ihn interessiert, was die Gerotechnologie den alten Menschen wirklich bringt. Und er erforscht, wo Technik nur den Erfindergeist von jungen Ingenieuren und Informatikerinnen beflügelt oder einfach eine vielversprechenden Markt bedient.
An der nationalen Tagung der Schweizer Gesellschaft für Gerontologie hat der Heidelberger Experte 6 ethische Regeln für die Entwicklung und Anwendung von Gerotechnik skizziert, die wegweisend sein könnten:
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1. Achtung: Menschlichkeit vor Maschinen
Die Gerotechnik kann alte Menschen, ihre Angehörigen oder auch Pflegefachpersonen unterstützen. Ersetzen kann sie sie niemals. Wenn Gerotechnik in Alters- und Pflegeheimen eingesetzt wird, um Personalkosten zu sparen, ist Altersfeindlichkeit statt Altersfreundlichkeit am Werk.
2. Achtung: Die Zweiklassengesellschaft
Der Umgang mit den nützlichen Apps braucht Köpfchen. Aber auch nur schon für die korrekte Handhabung des Rollators oder der Alarmuhr am Handgelenk ist Savoir-faire gefragt. Was ist aber mit den geistig eingeschränkten Alten? Wenn die Technologie immer nur für die fitten Betagten gemacht wird, entsteht Diskriminierung.
3. Achtung: Art pour Art
Es muss darauf geachtet werden, dass die Technologieentwicklung nicht an den Alten vorbeizielt und eine «Art pour Art» wird. Das passiert, wenn Ingenieure und Altersforscherinnen nicht zusammenspannen. Bisher ist das kaum geschehen – obwohl es dringend nötig wäre. Sonst kommt wird die Gerotechnologie von der einen über- und von der anderen Seite unterschätzt.
4. Achtung: Unnötige Hilfe
Technische Hilfsmittel dürfen den alten Menschen nicht zu sehr verwöhnen oder gar invalidisieren. Eine agile 90-Jährige, die sich noch gut bücken kann, braucht keine Greifzange. Noch nicht. Zum Glück.
5. Achtung: Ressourcenwaage
Aufwand und Ertrag müssen in Balance sein. Wenn das Training mit dem Smartphone und den dazugehörigen Apps für den alten Mann Wochen dauert, muss der Gewinn an Autonomie und Lebensqualität danach schon beträchtlich sein. Entpuppt sich der Mann nach dem Training als Technikmuffel, war die Ressourcenwaage in arger Schieflage.
6. Achtung: Big Data
Wenn alte Menschen mit einer Senioren-Smartwatchunterwegs sind, liefern sie eine riesige Datenmenge. Ihr Blutdruck, ihr Puls, ihre Schrittzahl und mehr wird dokumentiert. Es ist jederzeit einsehbar, wo sie gerade sind und wie lange sie sich dort aufhalten. Sie sind kontrolliert, und wissen meist nichts von ihrer «Gläsernheit». Faire Aufklärung und Information sind deshalb ein Muss.