Dieses Buch ist ein Monster. Auf 700 Seiten beschreibt Naomi Klein detailreich die gefährlichste Krise der Menschheitsgeschichte – den weltweiten Klimawandel. Sie kritisiert dabei nicht nur profitgierige Ölkonzerne, die den Planeten wie eine Zitrone auspressen wollen. Sie kritisiert genauso die Aktivitäten von Umweltschützern.
Sie fragt, warum trotz massiver Bedrohung die Klimaveränderungen nicht zu mehr politischen Konsequenzen führen. Gleichzeitig zeigt sie anhand neuer wissenschaftlicher Studien, dass eine andere Klimapolitik möglich wäre, dass erneuerbare Energien die einzige Rettung sind.
Klimaveränderung führt nicht nur zu Naturkatastrophen, sondern auch zu mehr sozialer und politischer Ungleichheit. Radikal bezweifelt Naomi Klein, ob unser vorherrschendes kapitalistisches Modell in der Lage sein wird, diese Krise zu bewältigen. Denn eigentlich herrscht Krieg – zwischen dem Kapitalismus und unserem Klima.
Sie hatten vor kurzer Zeit einen viel diskutierten Auftritt in Frankfurt, bei der grossen Demonstration anlässlich der Eröffnung der Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB). Dort bezichtigten Sie die EZB der Brandstiftung. Sie sagten wörtlich: «Ihr seid die wahren Vandalen, und die Bühne für euren Vandalismus ist der ganze Planet.» Könnten Sie das bitte präzisieren?
Naomi Klein: Damit bezog ich mich speziell auf die Politik der EZB als Teil der Troika und die Auswirkungen ihrer Sparpolitik, die von diesen europäischen Institutionen bestimmten europäischen Ländern vorgeschrieben wird.
Wir hören viel von den sozialen Auswirkungen dieser Politik, die in der Tat dramatisch sind. Sie lassen aber die ökologischen, die klimatischen Konsequenzen fast vergessen.
Vor der Finanzkrise befanden sich all diese Länder mitten in der Energiewende, auf dem Weg zu mehr erneuerbarer Energie. Und plötzlich erschien das alles zu teuer. Gleichzeitig drängt man Griechenland, nach Öl und Gas zu bohren. In Italien will man die Offshore-Ölförderung verdoppeln.
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All das geschieht im Namen der Schuldentilgung oder um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Gleichzeitig werden öffentliche Verkehrsmittel in ganz Europa teurer anstatt billiger. All das hat Auswirkungen auf unser Klima, und es zeigt deutlich, wie die Politik des neuen Liberalismus genau das Gegenteil dessen bewirkt, was angesichts der Klimakatastrophe notwendig wäre.
Ihr neues Buch trägt den ultimativen Titel «Die Entscheidung» und handelt vom Konflikt zwischen Kapitalismus und Klimaveränderung. Warum haben Sie dieses Buch geschrieben?
In meinem letzten Buch «Die Schock-Strategie» habe ich versucht zu beschreiben, wie unser Wirtschaftssystem auf Schocks, auf Krisen antwortet und dabei mehr Ungleichheit, mehr Krisen schafft. Auch mehr Militarisierung und Ausgrenzung. Dieses Buch endet mit dem Hurrikane Katrina. Dass diese Form von Naturkatastrophen mit der Erwärmung der Ozeane zu tun hat, ist offensichtlich.
In New Orleans kam dazu noch die wirklich giftige Verbindung zwischen der Wetterkatastrophe und einem schwachen und einem verwahrlosten Staat. Alle Warnungen wurden in den Wind geschlagen. Als dann die Dämme brachen und das Wasser die Stadt überflutete, liess man die Menschen lange Zeit allein.
Wer Geld hatte, konnte fliehen. Wer arm war – und in New Orleans betraf das vor allem Schwarze und Latinos – hatte Pech. Es war apokalyptisch. Unruhen flammten auf, die zuständigen Behörden reagierten erst nach fünf Tagen. Und dann dieser Rassismus …
Ich bin keine blauäugige Optimistin, aber ich denke, dass wir etwas verändern können. Ich habe viel Zeit in Katastrophengebieten verbracht, und ich weiss, wohin uns der jetzige Umgang mit der Klimaveränderung führen wird. In das New Orleans nach dem Hurrikane Katrina. Wir müssen unseren Kurs ändern. Das ist unglaublich schwer, aber die Alternative wäre die Katastrophe.
Die Konsequenzen des Klimawandels sind seit Jahren erforscht. Warum wurden sie öffentlich so wenig wahrgenommen?
Man kann es so erklären: Es ist ein epischer Fall von schlechtem Timing. Das Thema Klimaveränderung landete in unserem politischen und öffentlichen Bewusstsein in den späten 1980er-Jahren. Die erste internationale Konferenz fand 1988 statt.
Jetzt überlegen Sie mal, was damals sonst noch geschah. Das sagt doch alles: 1988 war das Jahr vor dem Fall der Berliner Mauer. Es war der Moment, als Francis Fukuyama das Ende der Geschichte ausrief. Und es existierte nur noch ein einziges Modell, dem alle Länder der Welt folgten: freie Märkte und Demokratie. Daraus folgte das Päckchen, das man inzwischen Neo-Liberalismus nennt, mit Privatisierungen, Deregulierung, dem Abbau staatlicher Ausgaben.
In meinem Buch beschreibe ich nun den Konflikt zwischen diesem ideologischen Projekt, das der Ökonom Joseph Stiglitz den «Marktfundamentalismus» nennt, und den Notwendigkeiten, die uns die Klimakatastrophe abverlangt. Das ist die Essenz einer kollektiven Krise.
Mit welchen Konsequenzen?
Das Problem heute ist, dass uns nur noch eine knappe wissenschaftlich ermittelte Frist bleibt. Wir können entweder die Wende schaffen, bis zum Ende dieses Jahrzehnts, oder die Situation wird unermesslich verschlechtert. Das ist unsere Deadline.