Zuerst war die Vernichtung von Akten zu den jüdischen Vermögen bei der UBS, entdeckt durch den Nachtwächter Christoph Meili. Dann waren da Datensätze über Steuersünder, die aus Lecks bei Banken entschlüpften und zum Verkauf auf den Markt kamen. Dann die Aussagen von Whistleblowern, einige darunter vom Schlage des ehemaligen UBS-Angestellten Bradley Birkenfeld, dem nachgesagt wird, er habe das Schweizer Bankgeheimnis zu Fall gebracht. Und immer wieder die Enthüllungen von Wikileaks, und nun die Aufdeckungen von Offshore Leaks.
Lecks überall
Bei jedem Skandal und bei jeder Enthüllung rund um schräge Machenschaften der Finanzbranche – von der illegalen Aktenvernichtung bis hin zu den Offshore-Praktiken – sind die Schlagzeilen fett und die Empörung ist gross; und jedes Mal gibt es ein Bekenntnis von Politikern aller Couleur, die beteuern, man werde die Steueroasen trockenlegen und die Branche besser regulieren.
Regelmässig fielen solche Beteuerungen wieder dem Tagesgeschäft zum Opfer, dem Optimieren, dem Gewinn erzielen. Denn alle, vom kleinen Aktionär hin zu den CEOs, hatten und haben dieselbe Gewinnmaximierung vor Augen. Ebenso die Pensionskassen und die Steuerbehörden, alle streben sie nach mehr Einkünften und mehr Gewinn.
Gewinnstreben statt Lernen
Die Finanzbranche hatte aus der Dotcom-Blase der 90er nichts gelernt. Sie optimierte und strukturierte weiter und schlitterte in die Finanzkrise – erst dann wurden Massnahmen zur Eigenkapitalisierung von Banken erlassen.
In der Schweiz liess man jahrzehntelang zu, dass unter dem Deckmantel des Bankgeheimnisses Potentaten ihre Gelder auf hiesigen Banken deponieren konnten – erst unter dem Druck unzähliger Skandale wurden neue Richtlinien zur Geldwäscherei erlassen.
Man hielt eine schützende Hand über die sogenannten Steuerparadiese – erst nach unzähligen Skandalen wurden internationale Richtlinien zur Steuerflucht erlassen, und Themen wie der automatische Informationsaustausch in Steuerfragen gerieten überhaupt erst auf die Agenda.
Möglicherweise ein Wendepunkt
Es mag sein, dass dieser Zirkel von Leck, Skandal und Reaktion langsam zu einem Punkt kommt. Die unzähligen Whistleblower riskieren Kopf und Kragen nicht aus Eigennutz, sondern weil sie tatsächlich erkannt haben, wie marode das Finanzsystem in seinem Innersten geworden ist. Sie wissen, dass in der breiten Öffentlichkeit die Sensibilität für Fragen der Moral und der Gerechtigkeit – gerade auch wenn es um Geld geht – enorm gestiegen ist und dass sie Gehör finden.
Eine neue Haltung
Es ist also Zeit einzusehen, dass sich ein anderes Denken in der Finanzbranche durchsetzen muss. Ein Denken, bei dem die Transparenz nicht an Whistleblower und recherchierende Journalistennetzwerke delegiert und nicht dem Spiel von Skandal, Empörung und Beteuerung überlassen wird.
Eine neue Haltung also, die Transparenz zum zentralen Geschäftsziel der gesamten Branche macht. Weil erkannt wird, dass es ein legitimes Bedürfnis der demokratischen Öffentlichkeit gibt, über die Art und Weise, wie bestimmte Leute Reichtum akkumulieren, informiert zu werden.
Gemeint ist also eine Transparenz nicht von Fall zu Fall, von Leck zu Leck, sondern eine Transparenz, die zum Geschäftsmodell der Branche wird. Gelänge das, stünde es mit einem Schlag auch wieder besser um die Reputation der Finanzinstitute.