Je länger sein Pontifikat dauert, umso deutlicher spricht Papst Franziskus nicht nur von den Armen und Obdachlosen der sogenannten Dritten Welt, sondern auch von denjenigen, die mitten in unserer Gesellschaft leben.
Bei seinem Besuch in Assisi im Oktober 2013 und beim vergangenen Weihnachtsfest warf er mit eindringlichen Worten der Gesellschaft und den Geistlichen seiner Kirche eine «skandalöse Untätigkeit» im Umgang mit sozial ausgegrenzten Menschen vor.
Auf Worte folgen Taten
Franziskus belässt es nicht nur bei Worten. Er eröffnete Gratis-Duschen und einen Friseur direkt beim Petersdom. Sein Almosenier, der für fromme Gaben zuständig ist, fährt immer wieder abends aus dem Kirchenstaat hinaus in die Stadt Rom, um Geld aus der päpstlichen Privatschatulle an Bedürftige zu verteilen. Geplant sind auch päpstliche Obdachlosenheime in Rom.
In der Millionenstadt Rom gibt es nur ein einziges Obdachlosenheim, das viel zu klein ist für geschätzte 2500 Menschen ohne Dach über dem Kopf. Zahllose Menschen schlafen also unter freiem Himmel. Viele sterben im Winter.
Inzwischen unübersehbar für jeden Romtouristen übernachten viele Obdachlose in den Eingängen von Banken, Geschäften und sogar Ministerien. Die Stadt Rom gibt vor, kein Geld für gezielte Sozialprojekte zu haben.
Kein spezifisch römisches Phänomen
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Im Unterschied zu anderen EU-Ländern gibt es in Italien kein System staatlicher Sozialhilfe und Arbeitslosenunterstützung, das diejenigen auffängt, die keine Familie haben, die sich im Notfall um sie kümmert. Und so landen viele Arme auf der Strasse oder in Favela-ähnlichen Unterkünften.
Unter ihnen sind zahllose psychisch Kranke. Denn 1978 wurden Italiens Nervenheilanstalten aufgelöst. Was als sozialpolitischer Erfolg gefeiert wurde, erwies sich später als Eigentor. Um die meisten der Kranken kümmert sich niemand. Sie machen heute das Gros der Obdachlosen aus.
Selbst Agnostiker und Vatikankritiker erkennen an, dass es in Italien ohne die konkrete Hilfe der katholischen Kirche, aber auch der protestantischen Kirchen in Sachen Sozialpolitik noch übler aussehen würde. Kirchliche Laienorganisationen, Ordenshäuser und Priester organisieren Armenküchen, führen Kindergärten, errichten Winterquartiere und kümmern sich sogar um die Vermittlung von Arbeitsplätzen.
Kritik aus dem Vatikan
Das päpstliche Vorpreschen in Sachen konkreter Sozialhilfe eckt im Kirchenstaat an. Hört man sich im Vatikan um, wird Franziskus von den Konservativen des hohen Klerus scharf kritisiert. Er biedere sich den Armen an, um zu gefallen, so der Tenor der Kritik. Doch mit seinem Einsatz kommt der Papst bei Gläubigen und auch bei Nichtgläubigen ausnehmend positiv an, verkörpert er doch eine Kirche, die das Neue Testament ins Zentrum der christlichen Verkündigung rückt.
Innerhalb seiner Kirche, der er als römischer Bischof vorsteht, stossen die sozialpolitischen Aktivitäten des Papstes nur auf wenig Gegenliebe. Seit Beginn des Pontifikats im März 2013 ist es nur zu einem mässigen Anstieg sozialer Initiativen seitens des römischen Klerus gekommen. Man scheint sich, so der Vatikanexperte Giacomo Galeazzi von der Tageszeitung «La Stampa», «nur wenig um die Worte des Papstes zu kümmern».
Das scheint auch Franziskus zu wissen, der immer wieder seinen Klerus kritisiert, weil «Priester und Ordensleute viel zu oft weltlichen Dingen hinterherjagen», als sich um «Christus auf der Strasse» zu kümmern.