Barmherzigkeit ist der Schlüsselbegriff des Pontifikats von Franziskus, das nun knapp drei Jahre währt. «Ich glaube, dass diese Zeit die Zeit der Barmherzigkeit ist», schreibt der Papst aus Argentinien. Deshalb hatte er auch ab dem 8. Dezember ein sogenanntes Heiliges Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen. Für Franziskus ist Gott Barmherzigkeit. Das heisst, dass in seinen Augen keine Sünde zu gross ist, um ihr nicht barmherzig zu begegnen.
Das vom Verlag als erstes eigenes Buch dieses Papstes angepriesene Werk ist in Wirklichkeit ein langes Interview, das Andrea Tornielli, der Vatikanspezialist der italienischen Zeitung «La Stampa», mit Franziskus geführt hat. Das Buch soll den Gläubigen, aber auch den Menschen ohne religiöse Bindung den Begriff der Barmherzigkeit nahe bringen.
Die Kirche als Feldlazarett
Interessant ist das Buch vor allem dort, wo Franziskus von seiner Zeit in Buenos Aires berichtet, von seinem ersten Beichtvater etwa, der an Leukämie verstarb, was in dem jungen Jorge Mario Bergoglio eine ungeheure Leere auslöste – war doch der Padre verstorben, der ihn als erster die Barmherzigkeit Gottes spüren.
Eine barmherzige Kirche ist für Franziskus eine tätige Kirche. Und das heisst für ihn: Die Priester müssen rausgehen aus den Kirchen und Pfarrhäusern, dorthin, wo die Menschen leben, leiden und hoffen. Kirche müsse wie ein Feldlazarett sein, dort aufgeschlagen werden, wo die Kämpfe stattfinden.
Gott liebt auch Homosexuelle
Eine wesentliche Mahnung des Papstes an sein eigenes Personal ist der Satz: «Die Kirche ist nicht in der Welt, um zu verurteilen». Kirche müsse den Menschen entgegen kommen, die ihr Verständnis brauchen, ihre Vergebung und ihre Liebe. Auch seine liberale Haltung zur Homosexualität wiederholt Franziskus in dem Interviewbuch.
Er hatte ja für Aufsehen und Unruhe im Klerus gesorgt, als er über Schwule und Lesben sagte: «Wer bin ich, dass ich mir ein Urteil anmasse». Der Mensch werde nicht durch seine Sexualität definiert, schreibt Franziskus und fügt hinzu, wir seien alle von Gott geliebte Geschöpfe.
Sehr nahe fühlt sich Papst Franziskus auch den Gefangenen. Jedes Mal, wenn er eine Haftanstalt betrete, käme ihm der Gedanke: Warum die, warum nicht ich? Er schreibt, dass er sich den Inhaftierten so nahe fühle, weil er sich seines Standes als Sünder sehr bewusst sei.
Denkanstösse
Wenn Papst Franziskus eine seiner spontanen Reden hält, dann halten ja viele die Luft an. So, als er letztes Jahr seiner Kurie vorwarf, sie leide unter spirituellem Alzheimer.
Bei diesem Buch über die Barmherzigkeit muss sich niemand wegducken. Es ist sehr fromm, gespickt voll mit Bibelzitaten, eine ehrliche Liebeserklärung an die Barmherzigkeit. Ein redliches Buch. Das so manches Anstoss vermittelt. Aber anstössig, nein, das ist dieses kleine Buch nicht.