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Ein Polizist kniend, ihm gegenüber ein herzhaft lachendes Mädchen, sie spielen ein Spiel mit den Händen.
Legende: Ein dänischer Polizist spielt mit einem Mädchen, das mit seiner Familie versucht, zu Fuss nach Schweden zu gelangen. Reuters

Gesellschaft & Religion Plötzlich dieses Mitgefühl

In Kommentaren zu den vielen Flüchtlingen, die über Europas Grenzen kommen, gibt es einen neuen, ungewohnten Ton: den der Mitmenschlichkeit. Es herrscht seltene Einigkeit, seltene Zuversicht. Aber es gibt auch einen ganz anderen Ton auf der rechten Seite des Spektrums – und der ist sehr scharf.

Die «Zeit» titelte vergangene Woche auf der Frontseite: «Sie meinen uns!». Und im vierten Absatz stand zu lesen: «Die meisten Deutschen haben in den Flüchtlingen trotz ihrer Fremdheit zuallererst sich selbst erkannt, nämlich als verletzliche Menschen. Das war das Ereignis des Sommers». Und dann ist in dem Text explizit die Rede vom «Glück», das Deutschland gerade widerfahre – das Glück, sich «verjüngt und ethnisch bunter wiederzufinden als je zuvor».

Welle der Mitmenschlichkeit, bis es schmerzt

Selbst die zurückhaltende NZZ sieht, dass die meisten Flüchtlinge heutzutage «mit Mut, Ideen und Arbeitslust» unterwegs sind. Eher konservative Medien wie die «Welt» machen sich mit einem Mal Sorgen, dass den Traumatisierten unter den Flüchtlingen nicht genügend geholfen wird. Und wenn Politiker aller Couleur sich an Bahnhofsperrons stellen, um Züge voller Menschen aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan zu empfangen, dann steht ihr Statement «Wir müssen helfen» am anderen Tag als Titel auf der Frontseite.

Die Welle der Mitmenschlichkeit geht vor allem in Deutschland hoch, in einem Land, das wirtschaftlich prosperiert. So zuversichtlich ist man, dass die FAZ titelt «Migranten verbessern Wachstumsaussichten» – von diesem neuen, gänzlich ungewohnten Ton ist es dann nur noch ein kleiner Schritt dahin, dass ein Land sich feiert. Das geschah denn auch letzte Woche in der Show des ZDF mit dem Titel «Auf der Flucht – Deutschland hilft»: eine Show zwischen Selbstgefälligkeit und Schulterklopfen «bis es schmerzt», kommentierte der «Spiegel».

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Was kommt danach?

Mitmenschlichkeit und Gastfreundschaft, darauf weist der Psychoanalytiker Daniel Strasberg in der Sendung « Kontext » hin, sind nicht einfach gegeben. Die «Macht der grossen Gefühle» (Schlagzeile in der «Zeit») entstehe in spezifischen, manchmal auch ausserordentlichen Situationen. Und die Frage stellt sich, was nach dem Überschwang kommt.

Da wird sich zeigen, ob die momentane Mitmenschlichkeit sich auch einschreiben wird in Legislaturziele, in die Budgets von Kommunen, in den Alltag eines differenten, vielfältigen Zusammenlebens.

Merkel gerät ins Visier

Die rechten Publizisten halten sich zurück, zumindest teilweise. Roger Köppel hatte bei Maischberger nicht viel Goodwill, Markus Somm gibt sich in der «BaZ» gemässigt.

Dennoch liegen die journalistischen Heckenschützen bereit, um die heutige Stimmung der Solidarität gezielt zu treffen. Auffällig, dass gleich in zwei Kommentaren die Symbolfigur der neuen Haltung in Deutschland, Angela Merkel, frontal ins Visier genommen wird.

Die «Weltwoche» betitelt die Bundeskanzlerin als «Schlepperkönigin Merkel»; und in der «Basler Zeitung» durfte David Klein in einem Kommentar ungehindert Angela Merkel mit Adolf Hitler gleichsetzen.

Sieht so aus, als ob einige nur darauf warteten, dass die gute Stimmung kippt.

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