Polizeiseelsorgerin mit Blaulicht und Bibel: War das ihr Motto?
Jeanine Kosch: Weder Blaulicht noch Bibel. Mein Motto war: Zuerst als Mensch unter Menschen da sein.
Was macht eine Polizeiseelsorgerin?
Jeanine Kosch: Ich habe Berufsethik unterrichtet an der Polizeischule. So lernte ich alle jungen Polizistinnen und Polizisten kennen. Polizeiseelsorge ist auch Beziehungsarbeit: nicht nur im Büro sitzen und warten, bis jemand anruft, sondern rausgehen, Dienstschichten mitfahren, mit dabei sein, im Gespräch sein, Beziehungen aufbauen. Es gab immer wieder persönliche Gespräche, die mich sehr beeindruckt haben.
Zum Beispiel?
Jeanine Kosch: Gespräche nach einem schwierigen Einsatz bei einem schweren Verkehrsunfall, vor allem, wenn Kinder involviert waren.
Bestechung im Rotlichtmilieu. Ein Korruptionsskandal hat Ende 2013 die Sittenpolizei in der Stadt Zürich erschüttert. Ist Ethik nicht einfach ein Alibi?
Die Ethik spielt da sehr wohl eine Rolle. Meine Aufgabe war es, bereits in der Polizeischule und in der Weiterbildung diese ethischen Fragen anzusprechen. Es war nicht meine Aufgabe, in der Bewältigung dieses Skandals aktiv zu werden. Das wäre eine Rollenvermischung gewesen. Man kann sich hingegen fragen: Wie konnte so etwas passieren trotz Ethik-Unterricht? Aber da können wir in der Kirche auch fragen: Weshalb geschehen sexuelle Übergriffe von Priestern, welche den Zölibat versprochen haben? Da dürfen wir nicht päpstlicher sein als der Papst.
Haben Sie diese Vorfälle thematisiert?
Natürlich. Ich habe oft die Schulstunde mit einem aktuellen Beispiel von einem Fehlverhalten der Polizei begonnen. Dann habe ich gefragt: Was ist da falsch gelaufen und wie hätte man vorgehen sollen? Ich wollte damit nicht jemanden verurteilen, sondern zeigen, was diese Fälle mit Ethik zu tun haben. Denn ich wurde immer wieder gefragt: Warum brauchen wir eine Berufsethik, wir haben doch eine gute Kinderstube.
Haben diese jungen Polizisten Sie als katholische Theologin akzeptiert?
Das war eigentlich nie ein Problem. Natürlich habe ich nicht eine theologische oder gar katholische Ethik vermittelt. Es war mehr eine philosophische Ethik. Da muss man auch offen sein für andere Religionen und für andere Auffassungen vom Leben.
Beschleunigtes Asylverfahren in Zürich, Polizisten begleiten Ausschaffungen von Asylbewerbern. War das ein Thema?
Ich habe die Weiterbildung gemacht für Polizistinnen und Polizisten, welche die Ausschaffungen begleiten. Diese erhalten eine Zusatzausbildung. Da war die Ethik durchaus ein Thema. Mir war es ein grosses Anliegen, dass die Menschenwürde nicht verletzt wird.
Wie haben Sie das vermittelt?
Ich habe Beispiele erzählt, woher diese Menschen kommen und welche Lebensgeschichte diese Menschen haben. Ich habe betont, dass nicht alle Asylbewerberinnen und Asylbewerber kriminell sind, aber auf der anderen Seite auch gesagt: Gut, ihr habt mit solchen zu tun, die kriminell sind. Wie gehen wir jetzt damit um? Kurz gesagt: Jeder Täter ist mehr als seine Tat. Auch ein krimineller Asylbewerber ist ein Mensch.
Haben Sie die Polizisten als fremdenfeindlich erlebt?
(Atmet schwer) «Polizisten sind fremdenfeindlich», das ist ein Schlagwort. Ich denke, sie haben durch ihre Erfahrungen oft ein anderes Bild von Fremden als zum Beispiel ich als Theologin. Polizistinnen und Polizisten haben in erster Linie mit jenen Menschen zu tun, die das Gesetz übertreten. Das sind oft auch Menschen aus anderen Ländern. Ich finde es schwierig, da zu sagen, gerade die Polizisten sind fremdenfeindlich. Aber es ist natürlich schon so, dass diese Erfahrung zu einer fremdenfeindlicheren Tendenz Hand bietet. Da scheint mir die Ethik wichtig, dass man das immer wieder anspricht und sagt: Passt auf, auch wenn viele Fremde in unserem Land das Gesetz übertreten, heisst das nicht, dass alle kriminell sind.
Sie haben drei Jahre als Polizeiseelsorgerin gearbeitet. Das ist nicht viel.
Ich habe gedacht, ich werde bis zur Pension Polizeiseelsorgerin bleiben. Ich kannte das Kloster, in dem ich seit Kurzem arbeite bereits früher. Das Leben in der Klostergemeinschaft und der Arbeitsalltag, diese Spannung war dann irgendwann einmal zu viel und ich musste mich entscheiden.
Jetzt gehen Sie ins Kloster. Was suchen Sie?
Auf der einen Seite die Begegnung mit Gott, ich bin Theologin und auf der anderen Seite die Begegnung mit den Menschen. Diese Schnittstelle hat mich immer fasziniert.