In Basel ist Bauland knapp bemessen. Warum also, so fragten sich einige kluge Köpfe, verlegt man den Hafen nicht ins Landesinnere und nutzt das Rheinufer für eine Grossüberbauung? - Die Idee «Rheinhatten» war geboren und weckt im Hafenquartier Kleinhüningen schlechte Assoziationen: Die einen fürchten um den Verlust günstiger Wohnungen, die anderen eine unwillkommene Wiederholung der Geschichte.
Das ärmliche Fischerdorf
Kleinhüningen wurde 1904 schon einmal von baslerischen Interessen überrannt. Als klar wurde, dass der Rhein mit neuen Dampfschiffen auch flussaufwärts bis Basel befahrbar ist, begann die Basler Regierung den Bau eines Hafens zu planen. Kohle aus dem Ruhrgebiet und Getreide aus Übersee auf dem Wasser transportieren zu können, war wichtig für die Versorgung und gut für das Geschäft.
Kleinhüningen, so befand die Basler Regierung, wäre dafür ein idealer Standort. Das ärmliche Fischerdorf an der Wiesemündung lag damals, eingebettet in Auen, noch kilometerweit entfernt von der eigentlichen Stadt und bot genügend Platz für einen Hafenbau. Doch Kleinhüningen war damals noch eine eigenständige Gemeinde und der Boden gehörte den Einheimischen. Diese nutzten ihn für den Anbau von Gemüse, das sie in die städtischen Haushalte verkauften.
Landkauf durch Strohmänner
Die meisten Bewohner hatten kein Interesse, ihren Boden für eine gigantische Hafenüberbauung zu verkaufen. Das wusste die Basler Regierung und schickte deswegen Strohmänner ins Dorf, die systematisch Land aufkauften, ohne den wahren Grund zu nennen. Viele verkauften in gutem Glauben. Wer sich weigerte, wurden schlussendlich enteignet.
Das war inzwischen möglich, weil das Dorf 1905 seine Selbständigkeit als Gemeinde aufgegeben und sich mit der Stadt Basel vereinigt hatte. Kleinhüningen war nicht mehr in der Lage, die Last der Armut, vor allem der neuzugezogenen Fabrik-Arbeiter zu bewältigen und gab dafür seine Autonomie auf. Damit hatte Basel-Stadt Zugriff auf den Boden und gab grünes Licht für den Bau des ersten Hafenbeckens. 1919 war der erste Spatenstich, der Beginn einer vielschichtigen Entwicklung, die durch den Ersten Weltkrieg vorerst gebremst, danach aber rasant weiter verfolgt wurde.
Matrosen bevölkern Kleinhünigen
1930 folgte das zweite Hafenbecken und als der Zweite Weltkrieg sich ankündigte, realisierte die Schweiz plötzlich, dass sie zwar eigene Schiffe hatte, dass aber die deutschen und holländischen Matrosen, die diese Schiffe fuhren, im Krieg kaum mehr zur Verfügung stehen würden. Also holte man kurz vor Kriegsausbruch zahlreiche junge Männer aus ärmlichen Gegenden der Schweiz nach Basel und bildete sie zu Matrosen aus.
Diese jungen Männer schifften während des Krieges, solange der Rhein noch befahrbar war, unter Einsatz ihrer Leben auf dem umkämpften Gebiet Kohle aus dem Ruhrgebiet in die Schweiz. Das schweisste sie zusammen zu einer eigenen, neuen Bevölkerungsgruppe in Kleinhüningen.
Widerstand gegen die Stadt war zwecklos
Auf den Krieg folgten die goldenen Jahre der Rheinschiffahrt: Der Hafen brauchte einen Umschlagplatz und Silos. Und da im Hinterland bereits alles Grün überbaut wurde, nahmen die Planer das Dorf ins Visier. Mit beispielloser Brutalität wurde der alte Dorfkern Stück für Stück abgerissen. Der Denkmalschutz kam erst zur Sprache, als praktisch die ganze Bausubstanz weg war.
Basel brauchte Platz. Und daran hat sich bis heute seit mehr als 100 Jahren nichts geändert: Kleinhüningen wurde überbaut mit Fabriken, Gastanks, Hafenbecken und Silos, mit Tankanlagen und Eisenbahnlinien, Sondermüllofen und einer städtischen Wasserreinigungsanlage: Widerstand war zwecklos, sobald es zur Abstimmung kam, wurden die Kleinhüninger vom Rest der Stadt überstimmt.
Die Zukunft als Hafencity
Und jetzt? Wieder sind die Städte-Planer am Werk und erzählen den Kleinhüningern von einer trinationalen Stadt am Dreiländereck mit Platz für 10'000 Menschen, von Verkehrsentlastung, Umweltschutz und Mitbestimmung.
In Köln, Hamburg und Rotterdam wurden solche Hafencitys bereits realisiert und die Kleinhüninger können dort beobachten, was sie erwartet: Die Mieten gehen hoch, die Einheimischen müssen weichen – auch wenn die Behörden anderes versprechen.