Der weltberühmte Zuckerhut, die Christus-Statue auf dem Corcovado, die weissen Strände von Copacabana und Ipanema, sie werden medienwirksame Hintergrundkulissen sein, wenn das katholische Jugendfestival gefeiert wird, für das 2,5 Millionen Jugendliche erwartet werden. Und auch die legendäre Fussballarena Maracana steht auf der Besuchsliste von Papst Franziskus.
Nur wenige Meter vom Stadion entfernt liegt ein anderer Ort: Vila Mimosa. Rund um die Fleischhallen von Rio de Janeiro stinkt es: nach Kadavern, nach Blut, Abfall – und nach Körperflüssigkeiten, nach scharfem Alkohol, nach süsslichen Drogen. Laut ist es, Autos und Motorräder lassen ihre Motoren heulen, dröhnender Lärm schallt aus Musikboxen. Düstere Männergestalten stehen in den Bars. Frauen, halbnackt, posieren, bieten sich dem Besucher an.
Leben ausserhalb der Ordnung
Die engen Gassen und kleinen Strassen in Vila Mimosa sind auch am helllichten Tag beklemmend. Hierher traut sich schon lange keine Polizei mehr. Ein Leben ausserhalb der Ordnung, der Gesetze, der Justiz. Es herrscht Bandenkrieg, Kriminalität ohne Hemmschwelle und mit allen Mitteln. Die Frauen, die hier arbeiten, kommen meist aus den Favelas. Zuhause erzählen sie, dass sie einen Bügel-Job haben, dass sie putzen gehen oder allenfalls als Bedienung in einer Bar arbeiten. Den Begriff Prostitution benutzen die wenigsten.
Die katholischen Ordensschwestern «Missionarias de Vida», die Missionarinnen des Lebens, ist eine kleine Gemeinschaft, die vor gut sieben Jahren ihre Arbeit in Vila Mimosa begonnen hat. Die Ordensschwestern beraten die Frauen, klären sie über ihre Rechte und finanziellen Ansprüche auf oder vermitteln juristischen Beistand. Engen Kontakt haben die Schwestern auch zu einer ärztlichen Ambulanz: Hier können die Frauen notversorgt werden, wenn sie sich mit Geschlechtskrankheiten wie HIV infiziert haben. Gewalt steht in Vila Mimosa auf der Tagesordnung.
Nur der Körper zählt
Cicera hat jahrelang als Prostituierte gearbeitet. Zwischen dreissig und vierzig Kunden hatte sie am Tag. Für 35 bis 40 Reals, umgerechnet etwa 15 Franken. Ein Leben ohne Selbstwertgefühl, ohne Respekt und Akzeptanz. Nur der Körper zählt, und der hat zu funktionieren: «Wer auch nur ein bisschen wach im Kopf ist, kann das nicht ertragen. Unmöglich. Es ist Stress pur: allein dieser Lärmpegel. Aber es ist auch die dauerhafte Konkurrenz, die Ungeduld, ob ein Freier zusagt. Man braucht ja das Geld. Das alles macht einen fertig.»
Die heute 53-Jährige bekommt mittlerweile eine Art Altersversorgung aus Sozialhilfe und kirchlicher Unterstützung. Die Ordensschwestern halfen Cicera, in einen neuen Alltag zu finden. Ein Anfang ist gemacht. Auf den Strich will sie nicht zurück. Zu den Schwestern kommt sie regelmässig, um zu reden, sich Rat zu holen. Bei ihnen fühlt sie sich angenommen. Und sie singt. Auch wenn ihr dazu nicht zumute ist, spürt sie, dass durch den Gesang etwas in ihr wächst: Kraft, Selbstvertrauen und Lebensmut.
Eine Stadt der Widersprüche
Der billige, erbärmliche Strassen-Strich neben dem millionenschweren Fussball-Tempel Maracana. Papst Franziskus wird diese beiden Seiten sehen und erleben. Der Kurs des neuen Papstes, sich für die Ärmsten der Armen zu engagieren, wird gerade in einem Land wie Brasilien auf grosse Resonanz stossen können.