«Wie hältst Du es mit dem Risiko?», hätte Goethes Faust fragen können, «mit dem Risiko, dem Teufel zu verfallen, um Lebensglück zu gewinnen.»
Unser umfassendes Bedürfnis nach Sicherheit und Unversehrtheit – körperlich, seelisch wie materiell – treibt uns dazu, nach allen denkbaren Risiken Ausschau zu halten, sie zu erkennen und zu vermeiden oder wenigstens so weit wie möglich zu minimieren.
Risiko, überall
Doch es ist unmöglich, jedes Risiko zu vermeiden, weil die vollkommene Vermeidung einzig durch totales Stillhalten, komplette Inaktivität erreichbar wäre. Wer das Risiko eines Verkehrsunfalls völlig vermeiden will, darf nie mehr auf die Strasse, ja nicht einmal in ihre Nähe.
Wer allen Unannehmlichkeiten aus dem Weg gehen will, muss sich zu Hause einsperren, die Fensterläden schliessen, Türglocke, Telefon und Computer abstellen und sich mucksmäuschenstill verhalten – oder anders gesagt: nur wer sich in Luft auflöst, muss keinerlei Risiko mehr fürchten.
Wer lebt und sich bewegt, wer Optionen zur Auswahl haben und freie Entscheidungen treffen will, der kommt also nicht darum herum, Risiken einzugehen. Und selbst dem Vorsichtigsten, der alles zur Risikominimierung unternimmt, dem bleibt immer noch ein breites Spektrum an Rest-Risiken.
Wie viel Vorsicht ist zu viel?
Freie und kluge Entscheidungen sind nur möglich, wenn alle Informationen über Folgen und Risiken bekannt sind, heisst es. Dieses Postulat ist besonders häufig zu hören, wenn es um politische und gesellschaftliche Weichenstellungen und Regelungen geht. Doch ist dieses Credo der Vorsicht wirklich so klug? Macht nicht gerade das Gebot der gründlichen Risikoabklärung die Entscheidungsfreiheit zunichte?
Die Folgen einer Entscheidung sind meist so weit verästelt, dass es unmöglich ist, jedes Risiko zu erkennen, geschweige denn, es zu kalkulieren. Wer deshalb seine Entscheidungen immer hinauszögert, um erst mal alle möglichen Risiken zu suchen und zu erforschen, der hat seine Handlungsfreiheit bereits eingebüsst.
Grundrecht auf Risiko
Wer Misserfolg fürchtet, sollte gar nichts anstreben, und wer von der Liebe nicht enttäuscht werden will, darf Gefühle gar nicht erst zulassen. Wer lebt, der muss Risiken eingehen, und der muss auch entscheiden, ob er alle Risiken kennen und welche er für seine Entscheidungen mit einbeziehen will. Darum geht es, wenn die Philosophin Barbara Bleisch in der Sendung «Kulturplatz» ein Grundrecht auf das Nicht-Kennen-Müssen von Risiken postuliert.
Als immanenter Teil des menschlichen Lebens sind Risiken genauso vielfältig wie dieses. Das Kulturmagazin erzählt drei ganz unterschiedliche Geschichten über die Erscheinungsvarianten des Risikos: da gibt es das Risiko als Marketingbotschaft eines Energydrink-Produzenten, das Credo «lebe gefährlich» als Lebensideal einer narzisstischen Leistungsgeneration; da erscheint das Risiko als Zwangslage von Gefangenen, die sich entscheiden müssen, ob sie eine gefährliche Flucht wagen oder auf eine riskante Befreiungsaktion warten sollen; und wir erfahren vom körperlichen Risiko als kreative Strategie eines Aktionskünstlers, zur Überwindung von Ängsten und zur Schocktherapie für das gaffende Publikum.