Es herrschte wieder mal viel Symbolik an diesem Freitag in Rom. Zuerst hiess es, Johannes XXIII. und Johannes Paul II. sollen noch in diesem Jahr heilig gesprochen werden, wobei jene des Papstes aus Polen die schnellste Heiligsprechung in der Geschichte werden wird.
Und gleichen Tags legte dessen Nach-Nachfolger Franziskus die erste Enzyklika seiner Amtszeit vor. Es wurde ein «Lehrschreiben der vier Hände», wie der Papst betonte. Will sagen, Franziskus hat einen unvollendeten Text seines Vorgängers Benedikt XVI. fertiggestellt. Erstmals – wieder ein Rekord also – haben zwei lebende Päpste an einer Enzyklika gefeilt.
Glauben und Wahrheit gehören zusammen
Man merkt diesem Wegweiser für die gläubigen Katholiken der Welt an, dass Benedikt den grössten Teil der knapp 90 Seiten verfasst hat. Die Enzyklika ist der Abschluss einer Trilogie zu den Themen Liebe, Hoffnung und Glauben, die sich Benedikt als Papst vorgenommen hatte. Sie ist in dessen Sinne kulturpessimistisch; die moderne Kultur habe den Glauben an Gott verloren, heisst es darin, und ohne Glauben drohten die Grundlagen der Menschlichkeit verloren zu gehen. Ausdrücklich wird in «Lumen fidei» dem Philosophen Friedrich Nietzsche widersprochen, der gesagt hatte, dass der Glauben und die Suche nach Erkenntnis einander ausschliessen. Das Gegenteil will uns diese vierhändige Enzyklika glauben machen: Glauben und Wahrheit gehören zusammen. Nur wer glaubt, kann zu wahrer Erkenntnis gelangen, heisst es. Und weiter: eigenständige, subjektive Vernunft reicht nicht hin, um ein klares Bild von der Zukunft zu gewinnen.
Franziskus ähnlich koservativ wie Benedikt
Da ist sie wieder, die Schelte des Relativismus und der Subjektivität des einzelnen Menschen, die wir von Papst Benedikt so oft hören mussten. Dass Franziskus diese Grundaussagen seines Vorgängers in seiner ersten Enzyklika – man kann auch sagen: in seiner ersten Regierungserklärung – so übernimmt, zeigt, dass der Papst aus Argentinien als Theologe ähnlich konservativ zu sein scheint wie der Vorgänger aus Deutschland. Die säkulare Welt grenzt den Glauben aus und – so wird uns von den beiden Päpsten vorgeworfen – und unsere säkularisierten Gesellschaften seien gänzlich Gottvergessen.
Der politische Bezug fehlt
Zwar fordert Franziskus in dem Lehrschreiben zu gesellschaftlichen Konsequenzen aus dem viel beschworenen «Licht des Glaubens» auf. Er müsse in den Dienst von Gerechtigkeit, Frieden und Recht gestellt werden, Menschenwürde und die Schöpfung müssen ihm unterworfen sein. Doch diese Schrift der vier Hände fasst eigentlich nur bekannte Glaubensentwürfe zusammen. Ihr fehlt der politische Bezug zu dieser Welt, wie ihn zuletzt die Sozialenzyklika «Caritas in Veritate» noch hatte. Und wie ihn Franziskus in seinen ersten hundert Tagen mit seinem Einsatz für die Armen eigentlich ausstrahlte. Schade.
Wesentlich konkreter wird’s dann zugehen, wenn Papst Franziskus am Montag die Flüchtlingsinsel Lampedusa besucht. Tausende von Armuts-Migranten aus Afrika leben dort in Auffanglagern. Muslime vor allem, Christen und Menschen ohne Glauben. Vor allem aber Menschen, die nichts haben ausser ihrer nackten Existenz. Menschen mit Angst und Argwohn, Opfer eines Kalten Krieges zwischen Arm und Reich. Die Geste des Papstes, diese Menschen direkt zu treffen, ihnen zuzuhören und – wo möglich – zu helfen, diese Geste wiegt wohl geschichtlich schwerer als die 90-seitige Enzyklika «Lumen fidei».