Die Revolution kam spät, und sie war blutig: Als die anderen Ostblockländer schon längst auf dem Weg zur Demokratie waren, hatte in Rumänien der Umbruch erst begonnen. Über 1000 Menschen liessen bei Massenprotesten ihr Leben, der Diktator Ceausescu wurde nach kurzer Flucht hingerichtet. Die Ereignisse sind bis heute nicht aufgearbeitet.
Ein Pfarrer wagt den Anfang
Die Revolution beginnt weit weg vom Machtzentrum, vor der reformierten Kirche in der Provinzstadt Timisoara: Dort hält Pfarrer Laszlo Tökes, ein Angehöriger der ungarischen Minderheit, aufmüpfige Predigten und macht den Menschen Mut, sich endlich gegen das brutale Regime aufzulehnen. In seinen Gottesdiensten kritisiert Tökes unverhohlen die Zustände im maroden Land und spricht aus, was andere nur zu denken wagen. «Das Leben in diesem Gefängnis-Staat war nicht länger erträglich», sagt Tökes im Rückblick, «wir mussten uns wehren, um die Menschenwürde zu wahren.»
Als die Geheimpolizei Securitate den Pastor strafversetzen will, stellt sich eine Gruppe Protestierender schützend vor ihn. Mit dabei ist Gabriela Albert, damals 18 Jahre alt: Noch heute bekommt sie Gänsehaut, wenn sie an den Tag zurück denkt, an dem sich Rumänien für immer verändert hat: «Ich bin froh, dieses Ereignis nicht in der Küche oder vor dem Fernseher verpasst zu haben», sagt sie. Das Protestgrüppchen wächst in kürzester Zeit zu einem gewaltigen Demonstrationszug an, der sich im Stadtzentrum der Staatsmacht entgegenstellt.
Die Hauptstadt fängt Feuer
Wenig später springt der Funke auf die Hauptstadt über: In Bukarest demonstrieren Hunderttausende gegen die Diktatur. Regimetreue Sicherheitskräfte schiessen in die Menge, töten mehr als tausend Menschen. Doch es gibt kein Zurück mehr: Ceausescu muss flüchten. Das Bild, wie er mit dem Helikopter vom Dach der Parteizentrale abhebt, geht um die Welt. «Die Euphorie war grenzenlos in diesem Moment», erinnert sich der Bukarester Schriftsteller Peter Sragher, «nichts konnte die Menschen mehr zurückhalten.»
Ceausescu wird wenig später hingerichtet. Chaos herrscht, niemand weiss, wer das Sagen hat. Mitten in diesen Revolutionswirren nutzt die zweite Garde der kommunistischen Apparatschiks die Gunst der Stunde und übernimmt nahtlos die Macht. Wendehälse teilen die Pfründen unter sich auf und lassen belastendes Akten-Material verschwinden.
Alte Seilschaften bis heute
Beiträge zum Artikel
- Der lange Schatten von Nadia Comaneci (Reflexe, 15.12.2014)
- Die Edith Piaf des Ostens: Maria Tanase (Passage, 27.9.2013)
- «Die Wolfssymphonie» von Marius Daniel Popescu (52 BB, 21.7.2013)
- Andrei Pleşu im Gespräch (Sternstunde Philosphie, 29.5.2011)
- Rumäniens «ungewollte Generation» (Kulturplatz, 28.11.2007)
- Zeugen deutscher Kultur in Rumänien (Kulturplatz, 10.1.2007)
«So ist es heute sehr schwierig, die blutigen Ereignisse von damals aufzuarbeiten», sagt der Historiker Neagu Djuvara. Die alten Seilschaften halten bis heute, und sie haben nicht das geringste Interesse daran, dass die dunklen Kapitel ans Licht kommen.
Eine «Reinigung der Gesellschaft» habe nicht stattgefunden, sagt der ehemalige Staatspräsident Emil Constantinescu. Er ist der Ansicht, die Perestroika sei zu spät gekommen in Rumänien: «System-Reformen, die schon vor der Revolution nötig gewesen wären, haben erst danach eingesetzt. Diesen Rückstand hat unser Land bis heute nicht aufgeholt.» Das rumänische Politik- und Wirtschafts-System weist deshalb viele Schwächen und Unklarheiten auf, die Machtmissbrauch ermöglichen.
«Blühende Landschaften»
Doch allmählich haben die Menschen die Nase voll, es regt sich die Zivilgesellschaft. Die Jugend verlangt politische Mitsprache und toleriert nicht mehr alles, was von oben verordnet wird. Die Justiz ist mutiger geworden und geht verstärkt gegen Korruption vor.
Der Bukarester Unternehmer Valentin Miron sieht mittelfristig gute Perspektiven für das Karpatenland: «Wird die alte Garde der Verhinderer dereinst abgetreten sein und der neuen Generation der Tüchtigen und Willigen Platz gemacht haben, so sehe ich blühende Landschaften in Rumänien.»