Was in Polen tagtäglich um 19:30 Uhr über die Bildschirme von Millionen Zuschauern flimmert, sieht immer noch wie eine klassische Nachrichtensendung aus: Schlagzeilen, ein Moderator und eigene Beiträge, aus einem schicken Studio in hohem Tempo serviert.
Die Fernbedienung als Mittel zum Protest
Die Form wird gewahrt – und umso mehr bei den Inhalten gewütet: Die Redaktion des polnischen Rundfunks wählt ihre Themen und Kommentatoren mit Schlagseite. Sie ist sich nicht zu schade für Schmutzkampagnen gegen Oppositionelle. Handkehrum übt sie sich in Kadavergehorsam bei der Berichterstattung über die Regierung.
Die polnische Tagesschau ist auf Linie gebracht. Und das Publikum hat es gemerkt. «Ihr habt das Fernsehen, wir haben die Fernbedienung!», war einer der Schlachtrufe bei regierungskritischen Demonstrationen Anfang des Jahres.
«Neue Ausgewogenheit»
Tatsächlich zappen inzwischen viele Polinnen und Polen weg. Die Sendung hat enorm an Zuschauern verloren. Die neuen Chefs beim polnischen Rundfunk erklären den Misserfolg zu einem Übergangsphänomen: Früher sei der Rundfunk einseitig gewesen. Jetzt wendeten sich diejenigen ab, die Mühe hätten mit der neuen Ausgewogenheit der Berichterstattung.
Es gibt wenig Grund, dies zu glauben. Als Intendant des Fernsehens hat die Regierung Anfang Jahr Jacek Kurski eingesetzt: Einen Mann, der früher als Wahlkampfleiter für die Partei «Recht und Gerechtigkeit» arbeitete. Dabei streute er manipulativ falsche Vorwürfe gegen seine politischen Gegner, was ihm eine Verleumdungsklage eintrug.
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Entlassen und entmachtet
Beim Radio und beim Fernsehen wurden unter Kurski viele Leute entlassen – oder zur Kündigung gedrängt. Neue Journalisten holte man bei Privatsendern, die «Recht und Gerechtigkeit» nahestehen: Etwa dem katholischen Fernsehen «TV Trwam», das in seiner Berichterstattung vor den Wahlen zu 99 Prozent Politiker dieser Partei zu Wort kommen liess.
Die schnelle und komplette Übernahme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks war nur mit einem gesetzlichen Handstreich möglich: Der Rundfunkrat, der eigentlich über Chefposten bei Radio und Fernsehen entscheidet, wurde entmachtet. Neu ernennt – und feuert – der Schatzminister die obersten Chefs. Das öffentlich-rechtliche Radio und Fernsehen ist der Regierung also direkt unterstellt.
Alle Angestellten sollten gehen
Auch das sei nur ein Übergangsphänomen, sagen die Medienpolitiker der Regierungspartei. Tatsächlich hat sie schon vor einiger Zeit ein neues, grosses Mediengesetz angekündigt. Darin ist vorgesehen, die öffentlich-rechtlichen Anstalten in nationale Institutionen umzuwandeln.
Geplant war ursprünglich auch, allen Angestellten von Radio und Fernsehen zu kündigen – wohl um dann nur den Genehmen unter ihnen neue Verträge anzubieten. Dieser Plan stiess auf so heftige Kritik, dass die Partei ihn fallen lassen könnte. Auch will sie wieder einen Rundfunkrat einführen und neu der Opposition eine Minderheit der Sitze garantieren.
Früher war es auch nicht besser
Doch der Schaden ist da, die Glaubwürdigkeit von Radio und Fernsehen verspielt. Um deren Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit stand es auch früher nicht besser, sagen Anhänger der Regierungspartei.
Tatsächlich hat schon die liberale Vorgängerregierung den Rundfunkrat per Gesetz umgekrempelt und mit ihr nahestehenden Leuten besetzt. Sie nahm sich damit aber nur ein Vorbild an «Recht und Gerechtigkeit»: Die Partei wandte diesen Trick bereits 2005 an, als sie zum ersten Mal an die Macht kam. Sie hat damit eine Grenze überschritten, die in etablierten Demokratien respektiert wird. Auch in Westeuropa kommt es vor, dass öffentlich-rechtliche Chefposten nach politischen Kriterien vergeben werden. Es ist aber nicht üblich, dass man Leute aus politischen Gründen entlässt oder entmachtet.
Seit 2005 hält sich die polnische Regierung nicht mehr an diese Grenze. Eine Ironie der Geschichte ist: Seither verloren polnische Regierungen jeweils die Wahlen, wenn sie die öffentlich-rechtlichen Medien auf ihrer Seite hatten.