Russlands Autoritäten und nationalkonservative Kreise machen immer unverhohlener Stimmung gegen Schriftsteller und Künstler. Noch gibt es zwar keine offizielle Zensur, aber eine ganze Reihe von restriktiven Gesetzen schränken nicht nur die Versammlungsfreiheit, sondern auch die freie Meinungsäusserung und die künstlerische Freiheit ein.
Für Schriftsteller und Verleger wirken sich insbesondere die Gesetze gegen die Beleidigung religiöser Gefühle und Verunglimpfung Russlands negativ aus. Zudem gilt in Russland seit 2014 ein Fluchverbot. Der ebenso berühmte wie berüchtigte Schimpfwortschatz, der russische «matj», steht auf dem Index.
Das gesetzliche Fluchverbot
Dabei hört man im Alltag Wörter der Vulgärsprache an jeder Ecke – sie müssen gar nicht besonders derbe sein. Der Schimpfwortschatz ist während der Sowjetzeit vor allem durch unzählige Lagerhäftlinge zu einem festen Bestandteil des Russischen geworden.
Bücher, die Schimpfwörter enthalten, werden seit Neuestem in dunkle Umschläge mit der Aufschrift «anstössiges Vokabular» verpackt. So sieht es das Gesetz vor. Der Lyriker, Übersetzer und Verleger Dmitrij Kusmin, eine der schillerndsten Persönlichkeiten des russischen Literaturbetriebs, musste die letzte Ausgabe einer Lyrik-Anthologie mit 320 Seiten zeitgenössischer Poesie in dieses Couvert stecken, das man in der Buchhandlung nicht öffnen darf. In fünf von insgesamt mehr als 300 Gedichten waren verbotene Wörter enthalten. Dieser Zirkus wurde dem Dichter zu bunt. Er gehört zu den russischen Intellektuellen, die das Land verlassen haben.
Der russische Schriftsteller Vladimir Sorokin, der seit einiger Zeit in Berlin lebt, ist ebenfalls vom Gesetz betroffen. Er hat einen Sammelband «wilder Erzählungen» in Moskau herausgegeben, der Geschichten von Dostojewski, Tolstoi, Gogol oder Solschenizyn, vor allem aber modernen und zeitgenössischen Schriftstellern umfasst. Auch auf diesem Buch warnt eine gedruckte Aufschrift vor «anstössigem Vokabular». Verleger geraten dadurch zunehmend unter Druck. Die Etikettierung ist herabwürdigend und rückt Literatur willkürlich in eine Schmuddelecke.
Zeit der Wirren
Die Kontrolle des Kulturlebens wird in Russland immer engmaschiger. Restriktive Gesetze geben dem Staat weitreichende Überwachungs- und Zugriffsmöglichkeiten. Russlands gewaltsame Einverleibung der Krim als Annexion zu bezeichnen? Verboten. Russland als tristen Wahnsinn zu beschreiben? Könnte schiefgehen, ein Gesetz verbietet nationale Verunglimpfung. Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Verleger, Kuratoren und Künstler stehen mit einem Fuss immer schon im Gefängnis. Denn verboten ist eigentlich alles, was nicht Jubelpropaganda für den Kreml ist.
Beiträge zum Thema
Der auch im Westen erfolgreiche Schriftsteller Sergej Lebedew konnte beispielsweise für seinen neuen Roman, der gerade ins Deutsche übersetzt wird, in Russland keinen Verlag mehr finden. Dabei war Lebedews Romandebüt «Der Himmel auf ihren Schultern» ein grosser literarischer Erfolg und fand auch in Russland wohlwollende Kritiken. In seinem neuen Buch aber geht der Moskauer Schriftsteller, der längst auch mit dem Gedanken der Emigration spielt, den unheilvollen Verflechtungen von Geheimdienst und Politik nach. Das hochaktuelle, aber riskante Werk wollte in Russland niemand drucken.
Apathische Gesellschaft
Die Gesellschaft indes scheint all diese unheilvollen Entwicklungen, die das russische Kulturleben nach und nach völlig aushöhlen, nicht wahrzunehmen. Der russische Literatur- und Kunstbegriff wurzelt gemeinhin noch stark im 19. Jahrhundert, im bedächtig dahinfliessenden erzählerischen Realismus und beim Wahren, Guten und Schönen. Daher regt sich wenig Protest, wenn versucht wird, die Literatur «rein» zu halten. Das Gros der Gesellschaft vertieft sich ohnehin in Ramschkrimis. Die Literatur erlebt einen enormen Bedeutungsverlust.