«Mit dem Körper hier in Genf, mit den Gedanken in Syrien.» So beschreibt der syrisch-palästinensische Cartoonist Hani Abbas seine momentane Lage. Es könne zermürbend sein. Andererseits habe er so genug Kraft, sich voll und ganz seiner Arbeit zu widmen: dem Widerstand mit Stift und Papier gegen die Ungerechtigkeit, gegen Gewalt. Für Freiheit und Frieden. Insbesondere in Syrien.
Odyssee von Damaskus nach Genf
Angst, Kriegsgräuel, Zerstörung, Tod. All das lässt Hani Abbas vor zwei Jahren hinter sich. Zusammen mit seiner Frau und seinem 4-jährigen Sohn flüchtet er in den benachbarten Libanon. Zu gross ist die Bedrohung durch den Bürgerkrieg geworden. Zu oft wird er wegen seiner Zeichnungen verfolgt und bedroht.
Im Libanon zeichnet Hani Abbas weiter und verbreitet seine Werke über soziale Medien. Al Jazeera und die libanesische Zeitung «Almodon» sind seine Hauptabnehmer. Der Westen wird auf seine Arbeit aufmerksam und lädt Hani Abbas für eine Ausstellung nach Genf ein. Kurzerhand entschliesst er sich, in Genf Asyl zu beantragen. Mit Erfolg: Sechs Monate später kommen Frau und Kind nach. Nun sind sie alle in Sicherheit.
Der Schrei von Syrien
Es ist kein Zufall, dass Hani Abbas’ Zeichnungen im Westen grossen Anklang finden. Die Bilder sprechen eine internationale Sprache: Sie zeugen von Trauer, Verzweiflung, Ungerechtigkeit. Stets poetisch, gibt Hani Abbas dem Unaussprechlichen eine Form.
Zu seinen berühmtesten Werken gehört «Der Schrei von Syrien». Drei Tage lang habe er daran gearbeitet. Das Bild zeigt einen Menschen, der die Arme ausgestreckt hält und einen Schrei von sich gibt. Dieser schreiende Mensch besteht aus Hunderten von Leichen, die wie Maden ineinander liegen. Das Bild löst so starke Emotionen aus, dass es in Syrien an Demonstrationen als Symbol für Gerechtigkeit und Freiheit hochgehalten wird.
Die Anschläge auf Charlie Hebdo
Die Verteidigung der Freiheit, insbesondere der Meinungsfreiheit gehört zum Kern der Philosophie von Hani Abbas: «Nachdem ich von den Attentaten in Paris gehört habe, war ich geschockt. Terror darf man nie akzeptieren oder rechtfertigen. Wenn ich persönlich etwas sehe, habe ich die Wahl es zu mögen oder es zu ignorieren. Es gibt keinen Grund, auf Gedanken mit Mord zu reagieren.»
Wie viele andere Zeichner hat auch Hani Abbas auf die Anschläge auf Charlie Hebdo mit einer Zeichnung reagiert: Zwei schwarzgekleidete Männer mit Sturmmasken schiessen auf einen übergrossen Bleistift. Rote Blutflecken zieren das Blatt, doch der Bleistift bleibt stehen.
Soll die Satire Grenzen haben?
Die Welt ist nach den schrecklichen Anschlägen vom 7. Januar in Paris in Aufruhr. Der Westen sieht die Demokratie in Gefahr. Die arabische Welt stimmt zwar ebenfalls der Meinungsfreiheit zu, Blasphemie wird aber von vielen nicht geduldet.
Hani Abbas, selber Muslim, spricht jedem Cartoonisten eine gewisse Verantwortung zu: «Damit eine Botschaft ankommt, muss sie einen positiven Zweck verfolgen. Bevor ich etwas publiziere, überlege ich, ob die Karikatur unnötig jemanden provoziert, der nichts mit dem Problem zu tun hat, auf welches ich aufmerksam machen möchte. Satire sollte immer im Auftrag für mehr Frieden stehen, anstatt mehr Krieg zu provozieren.»
Cartooning for Peace 2014
Jede Zeichnung von Hani Abbas ist ein Appell für den Frieden. Der Soldat, der an einer roten Blume riecht. Ein Liebespaar, welches Hand in Hand vor einem Bombenangriff flieht. Ein kleines Mädchen, welches seiner Puppe eine Gasmaske auf das Gesicht hält, während eine giftige Wolke um sie schweift.
Aus diesem Grund überreicht Kofi Annan im April 2014 im Namen der UNO den «Cartooning for Peace»- Preis an Hani Abbas. Eine grosse Ehre für den syrisch-palästinensischen Flüchtling. Und eine Bestätigung, dass es sich lohnt, weiterzukämpfen. Mit Stift und Papier; für Frieden und Gerechtigkeit.