Die Sonnenbrille ist für viele das Sommeraccessoire schlechthin. Wenn man sie aufsetzt, wähnt man sich in den Ferien, am Meer, vielleicht Espresso schlürfend auf einer Piazza.
Für Rapper Greis aber gehört die Sonnenbrille zum Alltag. Der Berner besitzt rund 800 Stück, lagert sie in seiner Wohnung sorgfältig verpackt in Kisten und Schränken. 40 davon präsentieren sich in einer Vitrine im Wohnzimmer, wöchentlich wechselt er die Modelle aus, arrangiert sie neu und betrachtet sie fast schon verliebt.
Vom Pelzmantel zum T-Shirt
Begonnen hat für Greis alles mit einer Sonnenbrille, die im deutschen Passau designt und produziert wurde – und reiche Damen in illustren Gesellschaften schmückte. Diese Sonnenbrille, die «Cazal», wurde in den 1980er-Jahren von amerikanischen Hip-Hoppern entdeckt. Sie kombinierten die extravaganten Modelle nicht wie vorgesehen mit Pelzmänteln und mondänen Hüten, sondern mit T-Shirt und Baggy Pants.
Es fand eine Umdeutung statt: Die Cazal stand plötzlich für den Stolz der afroamerikanischen Hip-Hop-Gemeinschaft. Dieses Kulturphänomen faszinierte auch Musiker Greis – und so wurde ihm bewusst: Eine Sonnenbrille ist für ihn mehr als die gelungene Kombination aus Schutz, Design und hochwertigen Materialien.
Grégoire Vuilleumier, wie der Rapper mit bürgerlichem Namen heisst, sieht in Sonnenbrillen die Möglichkeit, ein Charaktermerkmal zum sonstigen Erscheinungsbild hinzuzufügen: «Viele Menschen ziehen eine Sonnenbrille vor, die ihren Charakter unterstreicht. Spannend wird es dann, wenn jemand eine Brille wählt, die konträr zu seinem sonstigen Aussehen steht. Wenn zum Beispiel eine ältere, unscheinbare Dame eine extravagante, ausgeflippte Brille trägt.» Auch wenn jemand sonst eher unauffällig durchs Leben gehe, könne die Person damit ihre wilde Seite ausleben, nochmals jung sein, in Erinnerungen schwelgen.
Sehhilfe für die Piloten
Wie kann ein so simpler und eigentlich funktionaler Gegenstand derart mit Bedeutung aufgeladen sein?
Schon im Mittelalter versuchte man aus Gründen des Sonnenschutzes aus buntem Glas, Stoff und Holz eine Art Brille zusammenzubauen. Doch erst Anfang des 19. Jahrhunderts, als die Schädlichkeit der UV-Strahlen nachgewiesen war, entwickelte der Münchner Josef Rodenstock Brillen, die wie unsere heutigen Modelle, das UV-Licht filtern.
Die Brillen wurden in Apotheken verkauft und waren noch weit davon entfernt modisch zu sein. Sie wurden von Menschen getragen, die den Brillenschutz benötigten – zum Beispiel Piloten wegen der Höhensonne.
Grosse Namen wecken das Begehren
Ab den 30er-Jahren begann sich Hollywood für die Sonnenbrille zu interessieren. Denn damit konnten sich Stars tarnen, verstecken, maskieren und sich gleichzeitig interessanter machen. Grosse Namen prägten Sonnenbrillenmarken und machten sie bekannt – die Massenproduktion lief an.
Immer neuere, ausgefallenere Modelle fluteten den Markt. Sie wurden erschwinglich, so dass sich auch die Hausfrau oder der Büroangestellte mehrere Modelle leisten konnte. Je nach Lust und Laune konnte man sich nun als Hollywooddiva oder erfolgreichen Piloten im Spiegel betrachten – alles dank eines kleinen Accessoires auf der Nase.
Diva, Hippie, Verkleidung?
Der Sonnenbrilleneffekt funktioniert bis heute. Nichts macht einen schneller zur Diva, zum Hippie, zum Raver als eine Sonnenbrille. Nichts verdeckt müde Augen besser, als die dunklen Gläser. Die Sonnenbrille ist Schutz, Verkleidung, Statement.
Auch Greis weiss das, wenn er vor seiner Vitrine steht und sich überlegt, welche Brille er als nächstes auf der Bühne tragen wird: «Es ist mir ziemlich egal, ob mir eine Brille steht oder nicht. Wichtig ist doch, was ich mit der Brille aussagen möchte, als wen ich mich geben möchte», sagt er und greift zu einer vergoldeten, runden Cartier-Brille. Seine Interpretation dieses Stücks: «Da hat einer viel Selbstbewusstsein, kann aber auch über sich selbst lachen.»