Auch Behinderte haben sexuelle Bedürfnisse: Auf dieser Grundhaltung basiert das Angebot der Sexualbegleitung für Menschen mit Behinderung. «Behinderung und Sexualität ist in unserer Gesellschaft immer noch ein Tabu-Thema», erklärt Erich Hassler. Behinderte Menschen würden als asexuelle Wesen betrachtet. Erich Hassler ist ausgebildeter Sexualbegleiter für behinderte Menschen und arbeitet am ISBB, das Institut zur Selbst-Bestimmung Behinderter, in Zürich. Wenn es einen Bedarf nach sexueller Nähe gibt, bietet er seine Dienstleistungen an.
Körperliche Befriedigung und psychische Hilfe
Dass der Sexualbegleiter nicht nur körperliche Befriedigungen, sondern auch psychische Probleme lösen kann, davon ist Erich Hassler fest überzeugt. «Ich war schon fünf Mal bei einer körperbehinderten Frau, die im Rollstuhl sitzt. Sie wurde, als Behinderte, vor ein paar Jahren vergewaltigt und danach im Schnee liegen gelassen. Hätte man sie nicht gefunden, wäre sie erfroren. Seit diesem Vorfall hat die Frau psychische Probleme und muss in psychologische Behandlung. Sie konnte und wollte sich von keinem Mann mehr berühren lassen. Vor kurzem hat sie mir gesagt, dass unsere Begegnungen ihr viel helfen würden: Sie habe wieder Vertrauen gewinnen können, Vertrauen, dass es wieder jemanden geben kann, der sie gewaltfrei berührt.»
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Sexualbegleiter kann nicht jeder werden, und auch nicht von heute auf morgen. Der Sexualbegleiter muss eine längere Ausbildung absolvieren, bestehend aus mehreren Seminaren. «Wir beginnen mit einem allgemeinen Informationstag. Die Auszubildenden müssen einen Fragebogen ausfüllen und das Ausbildungsteam nimmt sich das Recht, zu entscheiden, ob eine Person geeignet ist für die Ausbildung oder nicht. Es ist oft ein negatives Ausschliessen: Beispielsweise wenn wir merken, dass eine Person mit Helfersyndrom etwas für sich gewinnen will.»
Kein Vorspielen von Illusionen
Erich Hasslers Beruf trifft nicht immer auf Verständnis. Immer wieder wird er gefragt, wie sich seine Sexualbegleitung von gewöhnlicher Prostitution unterscheide. «Rechtlich gesehen gar nicht, weil wir Geld bekommen für eine sexuelle Dienstleistung,» so Hassler. «Aber im Gegensatz zur gewöhnlichen Prostitution verzichten wir auf das Vorspielen von Illusionen: Wir sehen den Behinderten nicht als Kunden, den wir mit unseren Dienstleistungen an uns binden müssen, damit er wieder kommt.»
Auch würden Sexualbegleiter keine einzelnen sexuellen Akte verkaufen, die dann je nach Angebot verschiedene Preise haben. «Was wir verkaufen sind Begegnungen, ist Zeit. Und dies geschieht nur nach Absprache. «Ausserdem probieren wir gemeinsam mit den Behinderten zu reflektieren, indem wir auch mit ihnen sprechen, wie in einer Beziehung. Es geht um einen gefühlvollen Austausch.» Die Begegnung mit dem Behinderten werde prinzipiell als Surrogat-, als Ersatzpartnerschaft betrachtet.
Eventuelle Bevormundung durch Dritte
Deswegen sei auch die vielgestellte Frage, ob der Sexualbegleiter Geschlechtsverkehr anbietet, nicht mit Ja oder Nein zu beantworten. Geschlechtsverkehr sei nicht ausgeschlossen, der Sexualbegleiter habe aber immer die Möglichkeit, die Ausführung eines Wunsches zu verweigern. «Es gibt auch welche, die grundsätzlich keinen Geschlechtsverkehr anbieten.»
Komplizierter wird das Thema, wenn geistig behinderte Personen die Dienste der Sexualbegleiter entgegennehmen. Oftmals sind es die Eltern oder die Pfleger, die um Rat oder um eine Sexualbegleitung bitten. Kann hier noch die Rede von Selbstbestimmung sein? Hassler gibt zu, dass diese Situation nicht einfach ist: «Wir wissen dann selbst nicht, ob der Behinderte das überhaupt will. Der Sexualbegleiter muss eine eventuelle Bevormundung durch Dritte selbst einschätzen können.»
Ganz schwierig sei, wenn jemand nicht sprechen könne. Oder beispielsweise bei Autisten, bei denen auch das Berühren vorsichtig sein muss. Grundsätzlich habe aber jeder Behinderte irgendeine Art oder Methode der Kommunikation, um ein Ja oder ein Nein auszudrücken. «Ausserdem spüren wir, ob eine Berührung gut oder schlecht ist für unser Gegenüber.» Oft komme es auch erst nach der vierten oder fünften Begegnung zu Körperkontakt. «Das ist meistens nur eine leichte und subtile Berührung, mehr nicht. «Einmal habe ihm ein Mann ins Gesicht gespuckt. «Da wusste ich, das ist ein klares Nein.»
Es könne aber auch vorkommen, dass die Behinderten sich mehr wünschten: Sie verlieben sich in den Sexualbegleiter. Hassler ist sich dessen bewusst. «Wir können die Behinderten nicht vor dem Leben schützen. Auch Nichtbehinderte haben Liebeskummer. Wir engagieren uns einfach für Menschen, die unsere Dienste brauchen und wollen.»