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Eine schwarz verhüllte Frau mit einer Augenbinde.
Legende: Nahid Persson Sarvestani trifft fünf Freundinnen, die nach der islamischen Revolution 1979 inhaftiert waren. ZVG

Gesellschaft & Religion Sie hat den Terror überlebt, darum fühlt sie sich schuldig

Nach der islamischen Revolution 1979 flieht die Filmerin Nahid Persson Sarvestani als linke Aktivistin aus Iran. Viele Mitstreiter werden verhaftet oder getötet. Jetzt sucht sie im Dok-Film «Meine gestohlene Revolution» nach damals inhaftierten Freundinnen. Eine Suche, die zur Katharsis führt.

Iran 1979: Die 17-jährige Nahid ist Mitglied einer linken Organisation. Gemeinsam mit den Islamisten kämpfen sie gegen die Diktatur des Schahs, für die Demokratie und die freie Meinungsäusserung. Der Schah wird schliesslich gestürzt. Die Islamisten ergreifen die Macht. Die Unterdrückung ist schlimmer als unter dem Schah. Massenverhaftungen und Massenerschiessungen sind an der Tagesordnung.

Nahid gelingt die Flucht ins Exil, während die meisten ihrer Freunde inhaftiert oder getötet werden – darunter auch ihr 16-jähriger Bruder Rostam. Er wird verhaftet, als sie nicht zu Hause ist. Sechs Monate später wird er hingerichtet. Nahid war es, die ihn zum Oppositionsbeitritt anspornte. Nahid war es auch, nach der die Offiziere eigentlich am Tag seiner Inhaftierung suchten.

Auseinandersetzung mit der Schuld

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35 Jahre sind mittlerweile vergangen. Die aktuellen Ereignisse in ihrer Heimat haben in Nahid Erinnerungen wachgerufen – und sie wecken auch Schuldgefühle, da sie dem Leid entkommen konnte. Nahid möchte wissen, was mit ihren Freundinnen aus der Oppositionsbewegung geschehen ist. Die gemeinsame Recherche mit ihrer Tochter macht ihr bewusst: Die meisten sind tot.

Fünf ihrer Freundinnen, die alle als politische Flüchtlinge in Europa verstreut leben, kann sie jedoch ausfindig machen. In ihrem Dokumentarfilm «Meine gestohlene Revolution» besucht sie ihre damaligen Gefährtinnen – und stellt sich dadurch ihrer persönlichen Schuldfrage.

120 Frauen auf 18 Quadratmeter

Nahids Reise beginnt in Schweden bei Nazli. Nazli arbeitete vor der Revolution für die Armee. Nach der Revolution waren jedoch Frauen bei der Armee nicht mehr erwünscht. Nazli trat der Widerstandsbewegung bei und wurde verhaftet. Bevor sie nach Schweden flüchtete, verbrachte sie acht Jahre in einer Gefängniszelle, eingepfercht mit 120 Frauen auf 18 Quadratmeter.

In ihrer Wohnung erzählt Nazli von ihrer Zeit im Gefängnis. Als wären es schon fast glückliche Momente gewesen, berichtet sie mit einem Lächeln auf dem Gesicht von den grausamen Foltermethoden im Gefängnis. Sprachlos schaut und hört man ihr zu. Sprachlos auch, weil sie trotz der erduldeten Höllenqualen so eine starke Frau zu sein scheint.

Gemeinsames Erinnern als Gruppentherapie

Sichtlich betroffen setzt Nahid ihre persönliche Reise zu ihren früheren Mitstreiterinnen fort und trifft auf drei weitere Schicksale, die die Gräuel dieser Zeit unangenehm präsent werden lassen. Nahid beschliesst, ihre Freundinnen zu sich nach Schweden einzuladen. Zusammen erinnern sich die Frauen an eine Zeit, die für sie alle unglaubliches Leid bedeutete. Körperliche und seelische Vergewaltigung prägen die Erinnerungen. Doch das gemeinsame Erinnern ist für die Frauen eine Art Gruppentherapie. Eine, die vor allem für Nahid besonders wichtig scheint.

«Meine gestohlene Revolution» ist Nahids persönliche Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld, mit der Frage «Warum die anderen und nicht ich?». Die Arbeit an dem Film bringt ihr die lang ersehnte Antwort auf diese Frage.

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