Syra Marty hatte ihre Glanzzeiten schon lange hinter sich. Sie war eine ältere Dame, die verarmt in einem Bungalow in Naples, Florida lebte, als Sie mit der Arbeit zu Ihrem Dok-Film begonnen haben. Wie sind Sie auf Frau Marty aufmerksam geworden?
Roger Bürgler: Irgendjemand erzählte mir vor Jahren von einer Innerschweizerin, die in Hollywood Karriere gemacht haben sollte. Er konnte sich aber nicht mehr an den Namen erinnern. Durch einen Freund in Wien stiess ich zum ersten Mal auf den Namen «Syra Marty» und begann zu recherchieren. Eines Tages kontaktierte mich ein Lokalhistoriker aus Arth und meinte, Syras jüngster Bruder Alois wohne in Brunnen, und dieser könne mir ihre Postadresse in Naples (Florida) geben.
Sie haben Syra Marty als ältere Dame, am Ende ihres Lebens, kennengelernt. Liess sich bei diesen Begegnungen erahnen, was das Besondere an dieser Frau war?
Sie war eine eher kleine, feine Frau. Fast unscheinbar. Aber sie hatte immer noch diesen einzigartigen Glamour, diese Schönheit, die sie ausstrahlte. Sie war sehr präsent und einnehmend. Ein Energiebündel. Bei einem unserer Besuche hüpfte sie mit 87 über ihren Salontisch. Da kann man sich nur vorstellen, wie fit diese Frau in jüngeren Jahren gewesen sein muss.
Auf den Pressefotos wirkt Syra Marty alles andere als klein und fein. Sie ist eine Erscheinung.
Sie wusste sich gut in Szene zu setzen und hat die Fotografen angewiesen, wie sie sie am besten fotografieren sollten. In ihrer Anfangszeit in Hollywood hatte sie das Glück auf einen guten Berater zu treffen, von dem sie viel über Kostüme, Make-Up und Frisuren lernte.
Syra Martys Karriere war also kein Zufall, sondern das Ergebnis eines eisernen Willens?
Sie war sehr starrköpfig, zäh und konsequent in ihrem Schaffen, sie war diszipliniert. Syra erzählte mir, dass sie nach den Vorstellungen immer bis zum Mittag schlief. Am Nachmittag ging sie schwimmen oder spazieren, ernährte sich gesund und bereitete sich auf den nächsten Auftritt vor. Sie lebte seriös, denn für sie war klar, dass ihr Körper, ihr Aussehen ihr Kapital waren. Wenn sie dem nicht Sorge trug, war sie weg vom Fenster. Deshalb wollte sie auch keine Kinder. Sie setzte ihre Priorität klar aufs Tanzen und nicht auf Familie.
Syra Marty war mit ihrem Manager Billy Frick bis zu seinem Tod 1977 verheiratet. Ein Liebespaar waren die beiden aber nie. Billy war homosexuell und die Ehe eine Zweckgemeinschaft.
Der Grund für die Hochzeit war ein finanzieller. Zwei Ledige durften in der damaligen Zeit nicht zusammen in einem Hotel, geschweige denn im gleichen Zimmer absteigen. Die beiden lösten dieses logistische und finanzielle Problem ganz pragmatisch und heirateten. Sie wohnten, arbeiteten und verdienten viel Geld zusammen.
Diese Partnerschaft zerbrach erst gegen Ende von Billys Leben, an dessen Tabletten- und Alkoholsucht. Billy war lebensmüde und sah offensichtlich keine Zukunft mehr: Als Handstand-Artist war er schon lange weg vom Fenster und Syras Karriere neigte sich auch dem Ende entgegen. Billy Frick starb 1977 auf einer Tournee. Ironischer Weise in Zürich, seiner Geburtsstadt.
Im Hörspiel «Syra – die Nackttänzerin» spielt ein gewisser Don eine wichtige Rolle. Syra selber sagt im Hörspiel, er sei die Liebe ihres Lebens gewesen. Gab es diesen Don tatsächlich?
Sein Name ist Donald Jay. Er ist 15 Jahre jünger als Syra und lebt auf Hawaii. Die beiden trafen sich vermutlich 1961, als Syra auf ihrer Tournee von Paris nach Hawaii kam. In der Branche war sie zu der Zeit ein Weltstar. Er Flughafenarbeiter. Sie lud ihn zu einer Vorstellung ein. Er kam und verliebte sich unsterblich in Syra. Obwohl Don später heiratete, verband die beiden bis zu Syras Tod eine tiefe Zuneigung. Seine Frau musste von Anfang an mit seiner Verehrung für Syra leben. Don hat mir geschrieben, auf seinem Schreibtisch stünden zwei Fotos: eines von Syra und eines seiner Frau.
Ihr letztes Interview mit Syra führten Sie ein knappes Jahr vor ihrem Tod. Wie schaute Frau Marty auf ihr bewegtes Leben zurück? Welche Momente waren für sie persönlich wichtig?
Das Wichtigste war für Syra auf der Bühne zu stehen und zu tanzen. In einem der letzten Gespräche sagte sie, sie würde viel träumen, meistens dasselbe: Die junge Syra, die die Welt erobert mit ihrem Tanz, mit ihrer Schönheit und ihrer Ausstrahlung. Dieser Traum hat Syra Marty glücklich gemacht.