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Zwei Toilettentüren, auf einer das leicht angeschnittene Piktogramm einer Frau, auf der anderen, das eines Mannes.
Legende: Die Sprache macht zwischen Mann und Frau eine klare Unterscheidung. Eine dritte Form gibt es im Deutschen bislang nicht. Imago/Westend61

Gesellschaft & Religion Sie und er – und was ist dazwischen?

«Der Mann» und «die Frau» – aber wie soll man Menschen ansprechen, die sich nicht als Mann oder Frau definieren können? In den USA wird rege über eine geschlechtsneutrale Bezeichnung diskutiert. Wie weit sind wir damit in der Schweiz? Praktisch noch nirgends, sagt der Psychologe Udo Rauchfleisch.

Udo Rauchfleisch, was bringt eine geschlechtsneutrale Sprache?

Für diejenigen, die sich zwischen den Geschlechtern fühlen – sei es aus körperlichen oder psychischen Gründen – bringt eine solche Sprache eine Erleichterung. Denn diese Menschen möchten sich nicht in die binäre Vorstellung von Mann und Frau hineinpressen lassen. Eine geschlechtsneutrale Sprache würde ihrer Situation eher gerecht.

Zur Person

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Der Psychologe und Psychotherapeut Udo Rauchfleisch befasst sich seit 46 Jahren mit Transidentität und begleitet in seiner Praxis Menschen mit entsprechenden Fragen. Bis 2007 war er Professor für Klinische Psychologie an der Universität Basel.

Gibt es neben der Sprache andere Bereiche, in denen unsere Gesellschaft den Menschen ohne klare Geschlechtsidentität nicht gerecht wird?

Ich würde nicht sagen: «ohne klare Geschlechtsidentität». Denn die Geschlechtsidentität kann die sein, zwischen den Geschlechtern zu stehen – also transident zu sein.

Unser Alltagsleben ist bestimmt von dieser Aufteilung zwischen männlich und weiblich. So zwingen beispielsweise Toiletten-Aufschriften die Männer und Frauen durch die entsprechende Tür. Ein anderes Beispiel sind die Anreden als Herr oder Frau. Oder wenn eine Person als biologischer Mann bereits einen weiblichen Vornamen hat und am Flughafen eincheckt: Wenn dann auf der Identitätskarte ein «m» für «männlich» neben einem weiblichen Vornamen steht, führt dies zu enormen Irritationen.

In der Schweiz findet eine Diskussion um die Bedürfnisse von transidenten Menschen nicht statt – täuscht dieser Eindruck?

Unter Fachleuten und unter transidenten Menschen wird die Diskussion sehr rege geführt. In der Öffentlichkeit werden diese Fragen aber kaum wahrgenommen – vor allem auch nicht die Dringlichkeit und die Belastungen, die für transidente Menschen entstehen.

Wieso nicht?

Einerseits gibt es keine grosse Lobby für transidente Menschen. Und für viele Nicht-transidente ist es schwer nachvollziehbar, dass es für eine Person verletzend ist, sich nicht in der Art wahrgenommen zu fühlen, wie sie wirklich in ihrem Inneren ist.

«She», «he» und «they»

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In den USA wird gemäss der New York Times überlegt, nebst dem weiblichen «she» und dem männlichen «he» das singuläre «they» einzuführen. Das neutrale Personalpronomen wurde 2015 zum US-amerikanischen Wort des Jahres erklärt, und die renommierte Zeitung The Washington Post hat es als eines der ersten Medien in ihre Sprachregelung aufgenommen.

Bräuchte es in Ihren Augen mehr Information?

Es braucht auf jeden Fall Aufklärung: Jugendliche sollen schon während der Schulzeit damit aufwachsen. Auch in Printmedien soll informiert und problematisiert werden, wie störend es für transidente Menschen ist, wenn sie auf die zwei Rollen festgelegt werden.

Sehen Sie Bestrebungen, dass dies geändert wird?

Wenn es gelingt, mehr Information in die Bevölkerung zu bringen und wenn die Bevölkerung sich dem tatsächlich öffnet, ist dies durchaus möglich. Ich denke aber nicht, dass es mit sprachlichen Änderungen getan ist. Es muss auch ein Gesinnungswandel stattfinden, damit in unserer Gesellschaft nicht mehr diese krasse Aufteilung in Männer und Frauen besteht.

Würde eine solche Debatte auch der breiteren Gesellschaft etwas bringen, als auch den nicht direkt Betroffenen?

Ich denke schon, dass wir alle davon profitieren könnten. Weil es uns ein Stückchen offener machen würde. Und es würde zu mehr Akzeptanz von Menschen führen, die nicht dem Mainstream entsprechen. Das liesse mehr Variabilität zu – und würde die Gesellschaft etwas bunter machen, als sie jetzt ist.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, kultur kompakt, 31.3.2016, 6.50 Uhr.

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