Udo Rauchfleisch, was bringt eine geschlechtsneutrale Sprache?
Für diejenigen, die sich zwischen den Geschlechtern fühlen – sei es aus körperlichen oder psychischen Gründen – bringt eine solche Sprache eine Erleichterung. Denn diese Menschen möchten sich nicht in die binäre Vorstellung von Mann und Frau hineinpressen lassen. Eine geschlechtsneutrale Sprache würde ihrer Situation eher gerecht.
Gibt es neben der Sprache andere Bereiche, in denen unsere Gesellschaft den Menschen ohne klare Geschlechtsidentität nicht gerecht wird?
Ich würde nicht sagen: «ohne klare Geschlechtsidentität». Denn die Geschlechtsidentität kann die sein, zwischen den Geschlechtern zu stehen – also transident zu sein.
Unser Alltagsleben ist bestimmt von dieser Aufteilung zwischen männlich und weiblich. So zwingen beispielsweise Toiletten-Aufschriften die Männer und Frauen durch die entsprechende Tür. Ein anderes Beispiel sind die Anreden als Herr oder Frau. Oder wenn eine Person als biologischer Mann bereits einen weiblichen Vornamen hat und am Flughafen eincheckt: Wenn dann auf der Identitätskarte ein «m» für «männlich» neben einem weiblichen Vornamen steht, führt dies zu enormen Irritationen.
In der Schweiz findet eine Diskussion um die Bedürfnisse von transidenten Menschen nicht statt – täuscht dieser Eindruck?
Unter Fachleuten und unter transidenten Menschen wird die Diskussion sehr rege geführt. In der Öffentlichkeit werden diese Fragen aber kaum wahrgenommen – vor allem auch nicht die Dringlichkeit und die Belastungen, die für transidente Menschen entstehen.
Wieso nicht?
Einerseits gibt es keine grosse Lobby für transidente Menschen. Und für viele Nicht-transidente ist es schwer nachvollziehbar, dass es für eine Person verletzend ist, sich nicht in der Art wahrgenommen zu fühlen, wie sie wirklich in ihrem Inneren ist.
Bräuchte es in Ihren Augen mehr Information?
Es braucht auf jeden Fall Aufklärung: Jugendliche sollen schon während der Schulzeit damit aufwachsen. Auch in Printmedien soll informiert und problematisiert werden, wie störend es für transidente Menschen ist, wenn sie auf die zwei Rollen festgelegt werden.
Sehen Sie Bestrebungen, dass dies geändert wird?
Wenn es gelingt, mehr Information in die Bevölkerung zu bringen und wenn die Bevölkerung sich dem tatsächlich öffnet, ist dies durchaus möglich. Ich denke aber nicht, dass es mit sprachlichen Änderungen getan ist. Es muss auch ein Gesinnungswandel stattfinden, damit in unserer Gesellschaft nicht mehr diese krasse Aufteilung in Männer und Frauen besteht.
Würde eine solche Debatte auch der breiteren Gesellschaft etwas bringen, als auch den nicht direkt Betroffenen?
Ich denke schon, dass wir alle davon profitieren könnten. Weil es uns ein Stückchen offener machen würde. Und es würde zu mehr Akzeptanz von Menschen führen, die nicht dem Mainstream entsprechen. Das liesse mehr Variabilität zu – und würde die Gesellschaft etwas bunter machen, als sie jetzt ist.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, kultur kompakt, 31.3.2016, 6.50 Uhr.