Rune Møklebust, Ihr erstes Projekt war die eins-zu-eins-Sendung über die siebenstündige Zugfahrt von Bergen nach Oslo. Was ist so spannend daran, sieben Stunden lang aus dem Zugfenster zu schauen?
Wir dachten zunächst, die Leute schauen drei Minuten, dann blieben sie aber für Stunden vor dem Bildschirm, in einer Art Hypnose. Das Bild aus dem fahrenden Zug ändert sich immer nur minim, aber man weiss nicht, was hinter der nächsten Kurve kommt.
Wir nehmen das Publikum mit auf eine Reise, sei es im Zug oder auf einem Schiff. Ein 76-jähriger Zuschauer schrieb uns, er habe die ganze Zugfahrt nach Oslo ohne Unterbruch geschaut, und als der Zug anhielt, wollte er aufstehen und sein Gepäck aus der Ablage nehmen, so vertieft war er in die Sendung.
Sie bieten also Stubenhockern an, eine virtuelle Reise zu machen.
Richtig. Leute, die nicht die Möglichkeit haben, selber auf eine Reise zu gehen, können das mit uns machen. Für uns war es extrem wichtig, den Leuten das Gefühl zu geben, sie seien an Bord. Und das Gefühl ist umso stärker, wenn die Sendung live ist. Die Bahnfahrt war nicht live, aber alles danach brachten wir live. Etwa als wir auf dem Schiff die berühmte Hurtigruten-Strecke von Bergen nach Kirkenes abfuhren.
Da kam es dann zu einem unerwarteten interaktiven Happening. Wir haben nichts geplant, wir haben nur 11 Kameras auf dem Schiff montiert und fuhren von Bergen aus los. Aber nach einem Tag realisierten die Leute, dass es live war und dass sie mitmachen konnten – und dann fing es an. Tausende kamen in die Häfen, an jeder Ecke hing eine norwegische Flagge oder ein Spruchband. Es war eine einzige riesige Party!
Mussten Sie anfangs den Sender von Ihrer Idee überzeugen?
Klar. Es war verrückt, eine siebenstündige Bahnfahrt als Sendung vorzuschlagen. Damals suchten wir eine Idee, das hundertjährige Jubiläum der Bergen-Oslo-Bahnlinie zu feiern. Und als ich sagte, lass uns doch die ganze Bahnfahrt zeigen, lachten wir alle und die Chefs sagten: wie lange soll die Sendung sein? Ich sagte, nun – sieben Stunden. Dann hatten wir eine Menge ernsthafter Diskussionen, bis sie schliesslich sagten: «Warum nicht. Lasst ihn das machen. Wir haben nichts zu verlieren.»
Also starteten wir am Freitag, dem wichtigsten Fernsehabend. Die Konkurrenzsender brachten Blockbuster. Plötzlich aber realisierten wir, dass die Leute tatsächlich bei uns zuschauten. Das haben wir nicht erwartet. Niemand hat das erwartet.
Wie erklären Sie sich den Erfolg?
«Slow TV» im Internet
Einer der Hauptgründe für den Erfolg ist, dass man uns zur besten Sendezeit brachte. Wenn man uns irgendwann nach Mitternacht ausstrahlen würde, würde das signalisieren, diese Sendung ist unwichtig, die braucht niemand zu sehen. Aber wenn wir zur Primetime kommen, und sogar am Freitagabend, sagt das unseren Zuschauern: Der Sender steht zum Inhalt, und der ist wichtig.
Warum mögen gerade Norweger diese Art von Fernsehen?
Ich denke nicht, dass unser Erfolg etwas mit Norwegen zu tun hat. Unsere Sendung würde auch in anderen Kulturen funktionieren, und eine amerikanische Produktionsfirma hat die Rechte für die USA erworben.
Ein Grund, warum man Slow TV sehen will, liegt darin, dass wir anders sind als alles, das sonst im Fernsehen gezeigt wird. Der Rhythmus des konventionellen Fernsehens wird immer schneller. Da bieten wir Entspannung und Authentizität. Wir zeigen, was wirklich gerade jetzt passiert, ungestellt und ungeschnitten. Wir machen wortwörtlich Reality TV.
Was kommt als nächstes bei Slow TV?
Wir haben verschiedene Pläne, aber es geht immer darum, dass wir uns nicht wiederholen dürfen und neue Ideen entwickeln müssen. Wenn wir das Gefühl haben, dass die Idee so schräg ist, dass man fast Bauchweh kriegt, dann sind wir auf dem richtigen Weg. Slow TV darf nicht zu normal sein, denn dann ist es nicht lustig und hebt sich nicht ab vom Rest. Wir müssen an die Grenzen gehen.