Stefan Heller führt uns in einen Beobachtungsposten aus Holz. Vielleicht drei mal zehn Meter. Vorsichtig, leise und langsam öffnet er eine der Luken. Die sind ganz schmal und sehr breit. Zu sehen kriegen wir eine Welt in Cinemascope.
Vögel hocken da, es kreischt und zwitschert. Als Normalsterblicher hat man keine Ahnung, was es da zu sehen gibt. Federvieh halt. Aber Stefan Heller ist jemand, der erzählt, als kennte er sie alle mit Namen.
Im Ried treffen sie sich alle
Er weiss schon vorher, wer bald mit wem … und wann die dann Eier legen. Die Einheimischen, die Zurückgekehrten und die Durchreisenden. Die Seltenen und die Massenware. Die geschmückten Männer, die um Revier und Bräute kämpfen. Eine scheue Gesellschaft. Nur an den Fluglärm haben sie sich gewöhnt. Macht hingegen ein Mensch Lärm, ist der Platz ruckzuck leer.
Im Neeracherried liegt die Naturschutzstation. «Seit 15 Jahren gibt es sie, ich bin seit Anfang dabei», sagt Heller. Mittlerweile leitet er sie hauptberuflich, zwei Angestellte, vier Praktikanten. Heller bildet auch aus. Der Kanton zahlt einen Beitrag, der Lotteriefond hilft schon mal mit einem Batzen.
«Den Rest berappen Stiftungen, Vereine, Gönner», sagt Stefan Heller. «Und nicht zu vergessen: Führungen. Ausserhalb der üblichen Öffnungszeiten haben wir in einem normalen Jahr 250 Führungen, Gruppen, Schulklassen. Letztes Jahr war ein besonders gutes, da waren es 350.»
«Vögel interessieren alle»
Als wir da sind, kommt ein Trupp Kindergärtner – «aus der Stadt Zürich». Das hört sich hier draussen an wie: «vom Ende der Welt». Heller und seine Kolleginnen begrüssen sie. Heller sagt, manche Gruppen seien «anspruchsvoll». Wohl eine diplomatische Umschreibung, mehr sagt er nicht, er macht nur grosse blaue Augen. An diesem Morgen sind sie harmlos, die Zwerge aus der Stadt.
Ich frage Heller nach diesem Klischee: Nur männliche Rentner interessieren sich für Vögel, stehen im Gelände mit exorbitanten Fernrohren und im mürrischen Morgengrauen. Heller lacht. Ja, das gebe es. «Wir im Neeracherried haben aber einen Querschnitt durch die ganze Bevölkerung, von den Zwergen wie heute bis zu 90-Jährigen. Das macht es auch so spannend.»
«Man muss es nur richtig verkaufen»
Er sagt, sie hätten Jahre lang gebrütet, wie sie diese Zielgruppe ansprechen könnten, die sich für Vögel überhaupt nicht interessiert – ausser für panierte: «Die Gruppe so zwischen 16 und Anfang 20.»
Da hätte er eine Idee gehabt und bei der Zürcher Hochschule der Künste angerufen in der Abteilung Interaction Design. Die habe er gefragt: «Hätten Sie Lust, einen Vogelflugsimulator zu bauen?»
Heller strahlt: «Ich habe ein einziges Mal telefoniert und die waren dabei, die waren Feuer und Flamme. Sie haben acht Monate gearbeitet, die Leute von der ZHdK, zu zweit, zeitweise zu viert.
Seit einiger Zeit ist der Simulator fertig und der Renner.» Jetzt kommen auch die Chicken Wings.
Heller ist sich nicht ganz sicher, aber er glaubt, der Simulator sei ziemlich einmalig. Die Hochschule hat kürzlich ein Update gemacht, jetzt kann man noch realitätsnaher durch das Neeracheried fliegen, vorbei am Naturzentrum, aber auch immer auf der Hut vor Stromleitungen und Windkraftanlagen.
Es hat früh «bei ihm eingehängt»
Sendungen zum Thema
Als Schüler habe es «bei ihm eingehängt», er hätte einen Vortrag auf Englisch machen sollen und sein Vater hatte ein Regal voller Vogelbücher und hat gesagt: «Mach doch was über die.»
Da ist es passiert: Studium, Umweltwissenschaften in Zürich, Feldornithologiekurs bei BirdLife Zürich und jetzt seit 15 Jahren im Ried. Er liebe die Natur, die Vögel, den Umgang mit Menschen. Hier habe er alles.
Die nächste Gruppe steht da. Vier Altersstufen, Projektwoche. Ein bunter Haufen. «Auch Stadt Zürich!» Ich frage Heller: «Anspruchsvoll?» Er: «Kann ich noch nicht sagen.» Er macht wieder grosse blaue Augen und begrüsst die Schüler. Wir fahren ab. Der Himbeersirup ist weg.