Als Martin Werlen vor knapp zwei Jahren einen schweren Sportunfall hatte, schockte das die ganze Schweiz. Als erster twitternder Abt von Einsiedeln, der via Twitter zu Wallfahrten aufrief , war er über die Landesgrenzen hinaus bekannt und beliebt. Dass er heute wieder voll da ist, scheint wie ein kleines Wunder.
Doch damit hält sich der Alt-Abt nicht allzu lange auf in seinem neuen Buch «Heute im Blick». Wichtiger ist ihm die Öffnung seiner Kirche: Er will Mut zum Glauben und Mut zu Veränderungen machen. Und dafür nimmt er sich Papst Franziskus als Kronzeugen.
Provokation heisst Berufung
So provokant wie versprochen ist das Buch dann aber doch nicht. Eher einladend, freundlich werbend und von Leidenschaft für die Kirche getrieben. «Pro-Vokation» übersetzt Martin Werlen dann auch mit «Be-Rufung», was die Sache rasch entschärft.
Werlen wird nicht müde zu beschreiben, wie beglückend die Kirche für ihn ist, welche Lebensräume er darin entdeckt und welche zwischenmenschlichen Begegnungen er hier nicht missen möchte.
Alle Getauften will er einladen, an dieser Kirche mitzubauen und mitzureden darüber, wie sie den Menschen näher kommt. «Die Glut in der Asche neu für den Glauben entfachen» – darüber hat er bereits geschrieben, als er noch Abt von Einsiedeln war. Nun schreibt er das unter den neuen Vorzeichen, die Papst Franziskus setzt.
Papst Franziskus als Motor für Veränderungen
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Martin Werlen schwingt ganz im Einklang mit Papst Franziskus. Dieser predige genau dasselbe und mache es vor: hingehen zu den Menschen, seien sie Häftlinge, Flüchtlinge, Nachbarn oder Geschwister in der Ökumene.
So stellt Werlen auch die Menschenwürde über die Sexualmoral. Er will Homosexuelle nicht ausgrenzen, sondern willkommen heissen. Nur: «provokant» ist das für die Mehrheit der Bevölkerung wie auch für die Mehrheit der Schweizer Katholiken nicht mehr. Denn deren liberale Haltung in Sexualfragen hat die neueste Umfrage eben erst erwiesen.
Gott der Überraschungen
Schockieren könnte Werlens Offenheit und Reformwille also lediglich Rechtsaussen-Katholiken. Gegen diese Traditionalisten gerichtet versteht sich auch ein Top-Satz aus der Einleitung: «Eine Kirche, in der alles klar ist, ist nicht katholisch.» Dagegen hält Werlen einen «Gott der Überraschungen».
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 28.11.2014, 06:45 Uhr.