Philosophie kommt selten allein. Sie ist ein dialogisches Geschäft: Ein argumentatives Gespräch als gemeinsame Suche nach dem Wahren, Schönen und Guten. So zumindest sah es Sokrates, der die Philosophie laut Cicero vom Himmel auf die Erde geholt und zu den Menschen gebracht hat.
Links zum Artikel
Sokrates, der Zitterrochen
Sokrates muss ein lästiger Zeitgenosse gewesen sein. Er trieb sich vor knapp 2‘500 Jahren auf dem Athener Markplatz herum, sprach die Leute an, hinterfragte ihre Meinungen und verwickelte sie in argumentative Zwickmühlen. Sein Schüler Platon verglich ihn deshalb mit einem Zitterrochen: Wer mit ihm in Berührung kommt, bekommt eine Elektroschocktherapie für den Intellekt.
Wie man Ideen gebärt
Platon verglich Sokrates aber auch mit einer Hebamme, als Mensch, der bei geistigen Geburten assistiert. Durch gekonnte Fragen brachte dieser seine Dialogpartner nämlich dazu, ihre Meinungen kritisch zu prüfen und zu einer begründeten Position zu finden. Er wollte andere nicht belehren, sondern sie dazu bringen, selbst zu einer Einsicht zu gelangen. Tatsächlich hilft ein kritischer Gesprächspartner oft beim Ausbrüten und Artikulieren eigener Ideen. Zudem zeigt sich meist erst im Dialog, ob unsere Meinungen etwas taugen oder ob wir sie besser aufgeben sollten.
Sandel, der neue Sokrates
Diese sokratische Methode hat sich auch der in Harvard lehrende Philosoph Michael Sandel zu eigen gemacht. Der smarte Philosoph doziert nicht, sondern stellt Fragen ins Publikum, lässt das Mikrofon herumgehen, fragt nach gegenteiligen Meinungen und fordert Gründe und Argumente. Immer wieder verwickelt er die Zuhörer mit Beispielen in Widersprüche und zwingt sie so zum Nachdenken. Sandel möchte zeigen, dass man über philosophische Themen wie Gerechtigkeit nicht nur streiten, sondern mit Argumenten auch eine sachliche Diskussion führen kann.
Philosophie als Diskussionskultur
Philosophie ist keine Lehre, sondern eine Tätigkeit. «Learning by doing» heisst die Devise. Sandel macht es vor. In seinen Vorlesungen schafft er eine Atmosphäre des gemeinsamen Nachdenkens und stiftet an zu Kritikfähigkeit, Wohlwollen und Sorgfalt im Denken. Man wünscht sich, Politiker und Moderatoren von Politdiskussionen würden sich eine Scheibe davon abschneiden. Die Frage nach dem guten Leben hätte es verdient, dass man sorgfältig über sie nachdenkt.