35 Grad! Die Sonne steht hoch am Himmel, brennt gnadenlos auf Hasan Başar Sütcüoglu herunter. Der Hotelmanager – in schwarzem Hemd und Anzughose – lächelt tapfer, tupft sich mit einem Taschentuch die Stirn. «Willkommen im Club Familia», sagt er und lädt zu einem Rundgang über die All-Inclusive-Anlage in der Nähe der türkischen Stadt Çeşme.
Gemischtes Baden verboten
Nur wenige Meter, dann bleibt er neben einem glitzernden Swimmingpool stehen. 20 bis 30 Gäste plantschen ausgelassen im Wasser. Manche braungebrannt und durchtrainiert, manche käseweiss, andere mit dicken Bäuchen über der Badehose. Erst auf den zweiten Blick fällt auf, dass alle Badegäste männlich sind. Der Manager nickt. Im «Club Familia» ist gemischtes Baden verboten. Es gibt einen Männerpool und einen Frauenpool, einen Männerstrand und einen Frauenstrand, Umkleidekabinen genauso wie Gebetsräume.
Alkohol ist selbstverständlich tabu – und zur abendlichen Unterhaltung kommen Imame und Religionsgelehrte statt Striptease-Tänzer und Karaokeshows … Langweilig? Von wegen: Bis Oktober sind die 800 Betten der Anlage bereits ausgebucht.
Moscheen neben weissen Sandstränden
Dass der «Club Familia» mit seinem Erfolg nicht allein ist, weiss keiner besser als Kılıc Mutlu. An den Wänden seines Istanbuler Reisebüros hängen Fotos von berühmten Moscheen in aller Welt neben Bildern von weissen Sandstränden und palmenumsäumten Pools. Kılıc Mutlus Botschaft: Strenggläubig und Badeurlaub in einem – das geht!
Mehr als 5000 Zimmer in islamischen Urlaubsanlagen belegt Mutlu jedes Jahr von Mai bis September mit Gästen. Längst gehen auch Buchungen aus dem arabischen Raum und aus Europa ein, aus England, Holland oder Deutschland. Vor zehn Jahren, erinnert er sich, gab es gerade mal ein einziges Halal-Hotel in der Türkei – inzwischen sind es gut zwei Dutzend. Zwei bis drei neue Anlagen kommen jährlich dazu. Wer nicht früh genug bucht, kann dennoch Pech haben.
Hinter dem Zaun wartet die Freiheit
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Mehrere Autostunden entfernt steht Hasan Başar Sütcüoglu an einem meterhohen Sichtschutz. «Nur für Frauen», steht auf einem Schild. Selbst der Manager hat hier keinen Zutritt. Die Frauen, die rein- und raushuschen, legen Kopftuch und Mäntel erst im Inneren ab, wenn wirklich kein Mann mehr in Sichtweite ist. Dabei geht es nicht nur um Religion, sagt Sütcüoglu. «Viele konservative Männer bei uns wollen einfach nicht, dass andere Männer ihre Frauen sehen. Also kommen sie in den Ferien in Anlagen wie unsere.»
Ein braun gebrannter Surfertyp mit Sonnenbrille und Cappy tigert ungeduldig vor dem Sichtschutz auf und ab. Auf dem Arm trägt er ein wenige Monate altes Baby, mit dem Kinn nickt er hinüber zu dem meterhohen Zaun. Dahinter lernt seine Frau gerade Schwimmen. Was für manche aussehen mag wie ein Gefängnis, bedeute für sie ungewohnte Freiheit. «Wir Männer können ja überall schwimmen. Aber unsere Mütter, Schwestern oder Frauen sitzen dann am Rand. Hier ist das anders.»
Der Sommerurlaub wird politisch
Die 33-jährige Sibel aus Istanbul hat gerade ihr Bad beendet und schlüpft mit Trainingsanzug und Kopftuch hinter dem Sichtschutz hervor. Sie nickt zustimmend: Seit fünf Jahren schon fahre sie mit ihrer Familie in Anlagen wie diese. «Das Angebot wächst, weil wir, die Religiösen, endlich unsere Rechte einfordern. Auf fast allen Gebieten gibt es jetzt auch für uns eine Auswahl.»
Tatsächlich: Frauenmagazine für gläubige Muslima, sündhaft teure Ganzkörper-Mode, Smartphone-Apps mit Gebetszeiten und Koranzitaten – nicht nur die Tourismusbranche hat die Gläubigen in den letzten Jahren als Zielgruppe entdeckt.
Doch längst nicht alle Türken sind begeistert von getrennten Pools und Stränden, von alkoholfreien Hotels und immer neuen Moscheen. Die neuen Angebote machen vielen auch Angst. Denn sie zeigen: Der Kampf um die Meinungshoheit in der Türkei wird längst nicht mehr nur in der Politik ausgetragen, sondern inzwischen selbst im Sommerurlaub.