Über die Tatortreiniger am Fernsehbildschirm kann Alexander Häusler nur lachen. «Zum Totlachen, wie die reinigen», meint der 52-Jährige. Er schaut mich über seine Brillenränder hinaus mit blitzenden Augen an. Sein letzter Grossauftrag war ein Tatort eines Doppelmordes. Beim Reinigen sind ihm Knochenstücke in die Hände geraten.
Wenn Sie von Ihrem Alltag erzählen, tönt das wie aus einem Horrorfilm. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie einen Tatort betreten?
Alexander Häusler: Wenn ich am Tatort ankomme, sind da Emotionen. Ich merke, dass da was in der Luft liegt, das mich teilweise bedrückt. Da war vor kurzem eine Frau, deren 30-jährige Tochter sich im Badezimmer vergast hatte. Ich versuche, die Situation nicht an mich herankommen zu lassen. Weil ich oft mit Nahestehenden des Verstorbenen in Kontakt komme, ist das allerdings nicht so einfach.
Sie reinigen seit zwei Jahren Tatorte – was geht Ihnen heute noch unter die Haut?
Es gibt Momente, die mich bewegen. Es sind Momente, in denen ich mich frage, wie der Verstorbene umgekommen ist – oder bei Selbstmordfällen, wie er sich umgebracht hat. Es berührt mich immer noch, wenn ich Tatwaffen wie Messer oder Rasierklingen finde. In einem Fall habe ich blutige Fussabdrücke eines Kindes am Tatort entdeckt. Das Kind muss also gesehen haben, wie der Mord passiert ist. Das sitzt mir heute noch in den Knochen.
Sie haben zwei Kinder, einen 22-jährigen Sohn und eine 12-jährige Tochter. Was erzählen Sie Ihrer Tochter, wenn sie fragt was ihr Papi arbeitet?
Meiner Tochter? Der habe ich erzählt, was ich genau mache. Sie schaut mich dann skeptisch an. Anfangs hatte sie Mühe damit, aber sie erzählte es ihren Freundinnen weiter. Die meinten nur «Das ist geil». Da habe ich blöd geschaut.
Schutzausrüstung – für jeden Tatortreiniger ein Muss
Häusler lacht viel. Vielleicht eine Art Überlebensstrategie, um die schlimmen Bilder seines Alltages zu vergessen.
Ich begleite ihn an einen Tatort. Hier hat vor ein paar Tagen ein Mann Selbstmord begangen. Der eisenartige Geruch von geronnenem Blut habe ich noch nach Tagen in der Nase. Häusler kondoliert den Verwandten, die ihm die Türe öffnen und zum Tatort bringen.
Er versucht so sachlich wie möglich zu sein, um ihre Trauer nicht erneut aufzuwühlen. Dann schlüpft er in seinen Schutzanzug, stülpt Handschuhe über und zieht seine Maske über den Mund. Für ihn sind Blutlachen und Verwesungsgeruch Alltag. Seine Hilfsmittel: eine Ozonmaschine, die Häusler gegen Blut- und Verwesungsgeruch einsetzt, aber auch hochgiftige Reinigungsmittel, mit denen er Blutspuren selbst auf weissen Vorhängen verschwinden lässt.
Mir wird unser Tatortbesuch in Gedächtnis und Nase bleiben. Wie ist das bei Ihnen?
Ich rieche das nicht mehr, denn ich versuche auch Gerüche nicht zu nahe an mich heranzulassen. Mein Ziel ist, dass ich den Tatort blitzblank und geruchlos zurücklasse. Das gelingt mir zu 99 Prozent. Nur Leichenbrand bringe ich nicht weg. Sobald Leichenflüssigkeit in den Boden dringt, gibt es nur noch eines: weg mit dem ganzen Boden.
Wie oft kommt es vor, dass Leichen wochenlang liegen bleiben?
Von meinen eigenen Erfahrungen kann ich sagen, dass in der Region Zürich ungefähr alle zwei bis vier Wochen eine Leiche entdeckt wird, die mehr als eine Woche gelegen hat. Am häufigsten bleiben Leichen in Hochhäusern und Wohnblocks unentdeckt. Einmal musst ich die Wände reinigen, weil ein bereits aufgedunsener Leichnam beim Abtransport förmlich explodierte.
Sie haben erzählt, dass Sie auf der Heimfahrt mit den Ereignissen des Tages abschliessen. Gibt es Fälle, die Sie heute noch beschäftigen?
Da war ein Mann, der sich während eines epileptischen Anfalles mit einem Messer am ganzen Körper Wunden zugefügt hatte. So etwas hatte ich noch nie gesehen: Sein Blut war in der ganzen Wohnung verteilt. In einem anderen Fall waren zwei Asiaten mit einem Samurai-Schwert aufeinander losgegangen. Alles war voller Blut, sogar auf dem Balkon.
Der Tod begleitet ihn seit seiner Kindheit
Häusler ist früh mit Tod in Berührung gekommen. Als er zehn Jahre alt war, starb seine Mutter. Sie wurde erst eine Woche später gefunden. Die Eltern waren getrennt, Häusler lebte nicht bei der Mutter. Er erzählt mir, wie er damals seinem Vater geholfen hatte, die Wohnung zu reinigen. «Ich hatte eine schwierige Kindheit», blickt er zurück, «aber das hat mich stark gemacht».
Häusler ist ein von Neugier getriebener Mensch, der auch beruflich manches ausprobiert hat: vom Staubsaugerverkäufer bis hin zum Koch. Vor etwas mehr als zwei Jahren nahm ihn ein Kollege an einen Tatort mit. Häusler hatte keine Angst. Er begann sich für den ausgefallenen Job zu interessieren und liess sich zum Tatortreiniger ausbilden.
Auf die Frage, ob er ein Putzteufel sei, antwortet er lachend: «Ich bin nicht pingelig, aber ich mag es sauber, auch zu Hause. Noch 13 Jahre nach meinem Einzug sieht der Chromstahl an Armaturen wie neu aus.» Der Mann, der vor keinem Blut und keiner Hirnflüssigkeit zurückschreckt, dem graut es – wie er verrät – nur vor zweierlei: Hunde- und Katzenhaare und den Ausscheidungen der beiden Tiere.
Wo immer er auftaucht: Die Menschen reagieren
Während ich mit Häusler unterwegs bin, bleiben immer wieder Passanten vor seinem Firmenwagen stehen. Mache würden auch Fotos vom Auto mit dem Schriftzug «Tatortreinigung» schiessen, erzählt Häusler. Er müsse dann jeweils mit aufs Bild.
Wie reagieren die Menschen in Ihrem Umfeld, wenn Sie erzählen, dass Sie Tatortreiniger sind?
Die meisten sind erstaunt, schütteln mir aber die Hand, weil sie meinen, dass meine Arbeit nicht jeder ausführen könnte. Negativ hat noch nie jemand reagiert.
Dieser Artikel erschien ursprünglich bei 3sat.de.