«The New Yorker»-Gründer Harold Ross (1892—1951) schrieb als Chefredaktor keine Zeile für sein Blatt, das überliess er anderen. Aus seiner Feder stammen nur die Grundsätze zur Erstausgabe des Magazins. Einen formulierte er so:
«‹The New Yorker› wird ein Spiegel grossstädtischen Lebens sein, in Wort und Bild. Er wird human sein. Sein Tenor ist der der Heiterkeit, des Esprit und der Satire. Seine Integrität ist über jeden Verdacht erhaben. Eines ist ihm zuwider: Blödsinn.»
Stadtblatt fürs Jazz Age
«The New Yorker» war konzipiert als Stadtblatt für das «Jazz Age» der «Roaring Twenties», zugeschnitten auf das Bildungsbürgertum einer boomenden Millionenmetropole.
Im Medienmekka New York City konkurrierte das Magazin mit hochkarätigen Zeitschriften. Sie alle wandten sich ans nationale Publikum, der New Yorker indes zielte auf die Leser vor Ort: Er sollte Identität stiften in der Kulturhauptstadt der Welt. «Was man in der Provinz denkt, interessiert uns nicht die Bohne», sagte Harold Ross.
Pubertät passé
Am 21. Februar 1925 kam das Blatt erstmals an Manhattans Kioske – und servierte leichte Kost: ein Potpourri aus vermischten Meldungen, Anekdoten, Satiren und Societyklatsch, durchsetzt mit humorvollen Illustrationen prominenter Zeichner und Karikaturisten.
Sonderlich kultiviert – «sophisticated» – war das alles nicht. Was fehlte, war ein klares inhaltliches Profil. Das schälte sich erst mit der zunehmenden «Politisierung» und «Internationalisierung» des Blatts heraus. Erst im Zweiten Weltkrieg wurde «The New Yorker» «erwachsen».
Hiroshima und Eichmann
Die «Lachnummer» entwickelte sich zum Intelligenzblatt mit Niveau und zu dem, was das Magazin bis heute ist: ein «Exzellenzcluster» für – auf rigoroser Faktenkontrolle basierenden – Qualitätsjournalismus; eine Plattform für Analysen, Essays, Porträts und umfassende Reportagen aus aller Welt; ein Forum für moderne Literatur (Salinger, Nabokov, Capote, Bellow, Roth, Updike, Cheever) und ein Schaufenster für Grafikkünstler und Cartoonisten.
Journalistische Meilensteine setzte das Magazin mit John Herseys Bericht (1946) über die Folgen des Atombombenabwurfs über Hiroshima und mit Hannah Arendts Exklusivberichterstattung vom Prozess gegen Holocaust-Organisator Adolf Eich-mann (1963). Arendts «Eichmann in Jerusalem» lief als Serie in der Stammrubrik «A Reporter at Large».
Cover-Kunst mit Sammlerkunst
Als «Schule des Humors» waren Cartoons für Chefredakteur Ross ein unverzichtbares «The New Yorker»-Element. Bis heute zeichnen rund fünfzig Künstler für das Magazin: nicht politisch Kontroverses, sondern zum Nachdenken anregende kleine Vignetten über (die scheinbar harmlosen) Banalitäten des Alltags.
So populär wie die Cartoons, sind die Titelblätter. Sie fungieren nie als Aufmacher, sondern stehen – ohne Bezug zu Inhaltlichem – für sich: als Kunstwerke mit Sammlerwert.
Legendär ist das Saul-Steinberg-Cover von 1976: «View of the World from 9th Avenue». Aus der Vogelperspektive und mit ironischem Hintersinn brachte der aus Europa immigrierte Künstler hier die Manhattan-zentrische Nabelschau der Weltstädter auf den Punkt.
Ein Dandy und ein Schmetterling
Steinbergs Titelbild war gedacht als Identifikationsangebot an die Leser – ähnlich wie ein halbes Jahrhundert zuvor das Titelblatt der Erstausgabe. Es zeigt einen viktorianischen Dandy mit Stehkragen und Zylinder, der durchs Monokel einen Schmetterling mustert.
Der Gentleman namens Eustace Tilley – erfunden hatte ihn der erste «The New Yorker»-Artdirektor, Rea Irvin – wurde zum Maskottchen des Magazins. Die Kunstfigur schmückt alljährlich die Titelseiten der Geburtstagsausgaben – in allen nur denkbaren Variationen.
Seit dem Jahreswechsel hat das Magazin seinen Sitz im Büroturm One World Trade Center in Lower Manhattan. Beides, der neue Standort und der Exot auf dem Debütcover, passt zu dem, wie Fans «The New Yorker» gern nennen: «Dandy im Weltdorf» und «Leuchtturm des liberalen Amerika».