Zwischen 1984 und 1992 versammelten sich Millionen von Amerikanern Donnerstag für Donnerstag vor dem Fernseher, um eine halbe Stunde lang ein Idyll zu geniessen. In der «Bill Cosby Show» führten die Huxtables vor, wie herzerwärmend nett es sich in einer sechsköpfigen Familie lebt, in der beide Eltern Akademiker und einander innig zugetan sind, in der die Kinder gedeihen, Geld immer und Humor im Überfluss vorhanden ist.
Eine Familie für alle
Die Huxtables waren schwarz. Und das trug zum Wohlgefühl noch mehr bei. Das weisse Publikum konnte sich sagen: Hurra, in unserer post-rassistischen Gesellschaft haben alle die gleichen Chancen und Wünsche und lachen über dieselben Witze. Mit den Huxtables würden wir sogar in den Urlaub fahren. Das schwarze Publikum wiederum fühlte sich eingeschlossen und respektiert.
Die «Bill Cosby Show» war eine der erfolgreichsten TV-Serien aller Zeiten. Ihr Schöpfer Bill Cosby ist ein amerikanisches Idol. Oder war es zumindest bis vor kurzem. Denn nach den Vergewaltigungsvorwürfen von über einem Dutzend Frauen in den letzten Wochen hat die Strahlkraft von Cosbys Heiligenschein stark abgenommen.
Inbegriff von Versöhnung und Moral
Dabei sind die Anschuldigungen gegen den 77-jährigen Entertainer und Schauspieler nicht neu. Sie begleiten Cosby seit dem Beginn seiner steilen Karriere in den 1960er-Jahren. Die Medien und mit ihr die Öffentlichkeit zogen es jedoch vor sie zu ignorieren. Hinzuschauen hätte bedeutet, die perfekte Illusion zu zerstören, die Bill Cosby präsentierte und repräsentierte. Er war der Inbegriff der Versöhnung und Moral. Das Bild, das er entwarf, war das eines Amerikas der Brüder und Schwestern. Erst vor zwei Monaten erschien eine dicke Cosby-Biografie, deren Autor das Thema des sexuellen Missbrauchs mit keinem Wort erwähnte.
Niemand will sich die Finger verbrennen
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Der Grund für die Selbstzensur war die Angst vor dem Eiertanz. Auch 50 Jahre nach der Bürgerrechtsbewegung spuken in den Köpfen vieler Amerikaner nämlich noch zwei Stereotype herum: Onkel Tom und der schwarze Vergewaltiger.
Onkel Tom ist gutmütig und gewillt, überall und immer gute Miene zu bösem Spiel zu machen. Und den institutionalisierten Rassismus nie zu thematisieren. Der schwarze Vergewaltiger sitzt hinter Gittern und verbirgt sich potentiell hinter jedem Schwarzen, der eine weisse Frau auch nur anschaut. Dafür wurden schwarze Männer noch vor 100 Jahren gelyncht.
Heute sitzen tatsächlich viele Schwarze wegen Vergewaltigung hinter Gittern. Viele von ihnen sind unschuldig. Das ist bekannt, genauso wie der immanente Rassismus des amerikanischen Justizsystems.
Mit Bill Cosby erweist sich nun Amerikas Lieblingsonkel Tom als Vergewaltiger. Und er scheint wirklich schuldig zu sein. Mit so vielen Tabus auf einmal wollte sich bisher niemand herumschlagen.
NBC und Netflix haben geplante Projekte mit Bill Cosby auf Eis gelegt und verschiedene Fernsehstationen Reprisen der «Bill Cosby Show» aus dem Programm genommen. Bill Cosby hüllt sich in Schweigen. Die USA sieht sich einmal mehr mit der unangenehmen Wahrheit konfrontiert, dass so etwas wie Farbenblindheit nicht existiert.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 26.11.2014, 17:45 Uhr.